Der ultimative Ratgeber zu Epilepsie: Für Patienten und Angehörige
Inhaltsverzeichnis
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Was ist Epilepsie?
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Arten von Anfällen und Epilepsiesyndromen
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Diagnose der Epilepsie
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Behandlungsmöglichkeiten
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Leben mit Epilepsie
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Erste Hilfe bei epileptischen Anfällen
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Epilepsie bei Kindern
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Epilepsie im Alter
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Psychosoziale Aspekte
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Hilfsangebote und Ressourcen
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FAQs
1. Was ist Epilepsie?
Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederkehrende, nicht provozierte epileptische Anfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle entstehen durch plötzliche, übermäßige elektrische Entladungen in Nervenzellgruppen des Gehirns.
Fakten zu Epilepsie
- Betrifft etwa 0,5-1% der Bevölkerung (ca. 500.000 Menschen in Deutschland)
- Kann in jedem Alter beginnen, häufig jedoch in der Kindheit oder im höheren Alter
- Ist keine psychische Erkrankung oder Geisteskrankheit
- Ist in den meisten Fällen gut behandelbar
- Ist nicht ansteckend
Ursachen
Epilepsie kann verschiedene Ursachen haben:
- Genetische Faktoren: Vererbte Veranlagung zu Anfällen
- Strukturelle Ursachen: Hirnverletzungen, Schlaganfall, Tumor, Fehlbildungen
- Metabolische Ursachen: Stoffwechselstörungen
- Immunologische Ursachen: Entzündungen des Gehirns (Enzephalitis)
- Infektiöse Ursachen: Folge von Hirnhautentzündung, Gehirnabszess
- Unbekannte Ursachen: Bei etwa 30-40% der Fälle bleibt die Ursache unklar
2. Arten von Anfällen und Epilepsiesyndromen
Klassifikation der Anfälle
Fokale Anfälle
Beginnen in einem begrenzten Bereich einer Gehirnhälfte:
- Fokale Anfälle ohne Bewusstseinsstörung: Der Patient bleibt bei Bewusstsein und kann das Geschehen wahrnehmen (früher: einfach-fokale Anfälle)
- Fokale Anfälle mit Bewusstseinsstörung: Das Bewusstsein ist eingeschränkt oder nicht vorhanden (früher: komplex-fokale Anfälle)
- Fokale Anfälle mit Übergang in bilaterale tonisch-klonische Anfälle: Beginnen fokal, breiten sich dann auf beide Gehirnhälften aus
Generalisierte Anfälle
Beginnen in beiden Gehirnhälften gleichzeitig:
- Tonisch-klonische Anfälle (Grand-mal): Bewusstlosigkeit mit Verkrampfung und rhythmischen Zuckungen
- Absencen: Kurze Bewusstseinspausen, oft mit Starren
- Myoklonische Anfälle: Kurze, blitzartige Muskelzuckungen
- Atonische Anfälle: Plötzlicher Verlust der Muskelspannung
- Tonische Anfälle: Anhaltende Muskelversteifung
- Klonische Anfälle: Rhythmische Zuckungen ohne vorherige Versteifung
Epilepsiesyndrome
Gruppen von Symptomen, die gemeinsam auftreten:
- Kindliche Epilepsiesyndrome: z.B. Rolando-Epilepsie, Absence-Epilepsie des Kindesalters, West-Syndrom
- Juvenile Epilepsiesyndrome: z.B. Juvenile myoklonische Epilepsie
- Temporallappenepilepsie: Fokale Anfälle aus dem Schläfenlappen
- Frontallappenepilepsie: Anfälle aus dem Stirnlappen
- Reflex-Epilepsien: Durch spezifische Reize ausgelöste Anfälle (z.B. Photosensitivität)
3. Diagnose der Epilepsie
Die Diagnose einer Epilepsie basiert auf mehreren Säulen:
Anamnese
- Detaillierte Beschreibung der Anfälle (am besten durch Augenzeugen)
- Familiäre Vorbelastung
- Risikofaktoren und mögliche Auslöser
- Begleiterkrankungen und Medikamente
Neurologische Untersuchung
- Körperliche Untersuchung zum Ausschluss neurologischer Auffälligkeiten
Elektroenzephalogramm (EEG)
- Aufzeichnung der elektrischen Gehirnaktivität
- Standard-EEG (ca. 20-30 Minuten)
- Langzeit-EEG (24 Stunden oder länger)
- Video-EEG-Monitoring (gleichzeitige Aufzeichnung von EEG und Video)
- Provokationsmethoden (Hyperventilation, Fotostimulation, Schlafentzug)
Bildgebende Verfahren
- MRT (Magnetresonanztomographie): Hochauflösende Darstellung des Gehirns
- CT (Computertomographie): Bei Notfällen oder wenn MRT nicht möglich
- PET, SPECT: Spezielle Untersuchungen zur Darstellung des Hirnstoffwechsels
Laboruntersuchungen
- Blutbild, Elektrolyte, Nierenfunktion, Leberwerte
- Bei Verdacht auf Stoffwechselerkrankungen: spezielle Stoffwechseldiagnostik
- Lumbalpunktion (bei Verdacht auf Entzündungen oder Infektionen)
4. Behandlungsmöglichkeiten
Medikamentöse Therapie
Die antikonvulsive (anfallshemmende) Therapie ist die wichtigste Behandlungsform:
Wirkstoffe (Auswahl):
- Levetiracetam (Keppra®)
- Lamotrigin (Lamictal®)
- Valproat (Ergenyl®, Orfiril®)
- Carbamazepin (Tegretol®)
- Oxcarbazepin (Trileptal®)
- Lacosamid (Vimpat®)
- Brivaracetam (Briviact®)
- Zonisamid (Zonegran®)
- Perampanel (Fycompa®)
- Topiramat (Topamax®)
Grundprinzipien der medikamentösen Therapie:
- Beginn mit Monotherapie (ein Medikament)
- Bei Unwirksamkeit: Wechsel zu einem anderen Medikament
- Bei teilweiser Wirksamkeit: Kombination von Medikamenten
- Langsame Eindosierung, regelmäßige Einnahme
- Regelmäßige Kontrolle von Blutwerten
- Langfristige Einnahme, kein plötzliches Absetzen
- Besondere Vorsicht während Schwangerschaft und Stillzeit
Nicht-medikamentöse Therapien
Epilepsiechirurgie
- Option bei therapieresistenten fokalen Epilepsien
- Entfernung oder Abtrennung des anfallsauslösenden Hirngewebes
- Ausführliche präoperative Diagnostik zur Lokalisation des Anfallsursprungs
- Mögliche Verfahren: Resektive Chirurgie, Läsionektomie, Kallosotomie, Hemisphärotomie
Neurostimulation
- Vagusnervstimulation (VNS): Elektrische Stimulation des Vagusnervs durch einen implantierten Schrittmacher
- Tiefe Hirnstimulation (DBS): Elektrische Stimulation tiefer Hirnstrukturen
- Responsive Neurostimulation (RNS): Implantiertes System, das Anfälle erkennt und durch Stimulation unterbricht
Ketogene Diät
- Ernährungsform mit hohem Fett- und niedrigem Kohlenhydratanteil
- Besonders wirksam bei bestimmten kindlichen Epilepsiesyndromen
- Strenge medizinische Überwachung erforderlich
5. Leben mit Epilepsie
Alltagsgestaltung
Folgende Aspekte sind im Alltag zu beachten:
Gesunder Lebensstil
- Regelmäßiger Schlaf (Schlafmangel ist häufiger Anfallsauslöser)
- Ausgewogene Ernährung
- Mäßiger oder kein Alkoholkonsum
- Vermeidung von Drogen
- Regelmäßige Bewegung und Sport (mit angemessenen Vorsichtsmaßnahmen)
- Stressmanagement (Entspannungstechniken, ausreichend Pausen)
Sport und Freizeit
Die meisten Sportarten sind möglich, aber Vorsicht bei:
- Schwimmen und Wassersport (nie alleine)
- Klettern, Bergsteigen (mit Sicherung)
- Kampfsportarten (Absprache mit Arzt)
- Radfahren (evtl. mit Helm und Begleitung)
Führerschein und Mobilität
- Kraftfahreignung bei anfallsfreien Zeiträumen (je nach Anfallsart)
- In Deutschland: meist 1 Jahr Anfallsfreiheit erforderlich
- Ausnahmen bei ausschließlich schlafgebundenen Anfällen
- Alternative Mobilitätsoptionen nutzen (ÖPNV, Fahrgemeinschaften)
Beruf und Ausbildung
- Die meisten Berufe sind möglich
- Einschränkungen bei Tätigkeiten mit erhöhtem Gefährdungspotential (z.B. Arbeit in großer Höhe, mit gefährlichen Maschinen)
- Offenlegung der Epilepsie gegenüber Arbeitgeber nicht immer verpflichtend (länderspezifisch)
- Mögliche Unterstützungsangebote: Integrationsfachdienste, berufliche Rehabilitationsmaßnahmen
Anfallskalender und Dokumentation
Ein Anfallskalender hilft bei der Dokumentation:
- Datum, Uhrzeit und Dauer der Anfälle
- Art der Anfälle
- Mögliche Auslöser
- Begleitsymptome vor und nach dem Anfall
- Medikamenteneinnahme
- Besondere Ereignisse (Stress, Schlafmangel, Krankheit)
Medizinische Notfallinformationen
Wichtig für den Notfall:
- Notfallausweis oder -karte mit sich führen
- Notfall-App auf dem Smartphone
- Notfallarmband mit QR-Code oder Medikamenteninformation
- SOS-Funktion auf Smartphone einrichten
6. Erste Hilfe bei epileptischen Anfällen
Bei einem großen (tonisch-klonischen) Anfall
Was zu tun ist:
- Ruhe bewahren und auf die Uhr schauen (Anfallsdauer notieren)
- Gefährliche Gegenstände entfernen
- Weichen Untergrund schaffen (Jacke, Kissen unter den Kopf)
- Person in die stabile Seitenlage bringen, sobald die Verkrampfung nachlässt
- Bei der Person bleiben, bis sie wieder vollständig bei Bewusstsein ist
- Beruhigend zusprechen
Was NICHT zu tun ist:
- NICHT festhalten oder Bewegungen unterdrücken
- NICHTS zwischen die Zähne schieben
- KEINE Flüssigkeit einflößen
- NICHT sofort den Notarzt rufen, außer in folgenden Fällen:
- Der Anfall dauert länger als 5 Minuten
- Es folgt ein weiterer Anfall ohne Erholung dazwischen
- Die Person verletzt sich schwer
- Es ist der erste bekannte Anfall
- Die Person ist schwanger oder hat bekannte Gesundheitsprobleme
- Nach 10 Minuten ist kein Aufwachen aus der Bewusstlosigkeit erkennbar
Bei fokalen Anfällen mit Bewusstseinsstörung
- Ruhig bleiben, beobachten
- Sanft von Gefahren wegführen
- Nicht festhalten, außer es droht Gefahr
- Beruhigend zusprechen
- Nach dem Anfall orientierend helfen
Status epilepticus
Ein lebensbedrohlicher Notfall:
- Anfälle, die länger als 5 Minuten dauern
- Mehrere Anfälle ohne Erholung dazwischen
- Sofort Notarzt rufen (112)
- Wenn verfügbar, Notfallmedikament verabreichen (z.B. Midazolam-Präparate)
7. Epilepsie bei Kindern
Besonderheiten im Kindesalter
- Bestimmte Epilepsiesyndrome treten nur im Kindesalter auf
- Viele kindliche Epilepsien “verwachsen sich” (ca. 70%)
- Entwicklungsaspekte müssen beachtet werden
- Einbeziehung des Umfelds (Kindergarten, Schule) wichtig
Umgang in Familie und Schule
- Altersgerechte Aufklärung des Kindes
- Geschwister einbeziehen und informieren
- Offene Kommunikation mit Erziehern und Lehrern
- Informationsmaterial für Schulen und Kindergärten nutzen
- Normalität ermöglichen, überbehütung vermeiden
- Teilnahme an Klassenfahrten und Ausflügen ermöglichen
- Individuelle Notfallpläne für die Schule erstellen
Entwicklungsaspekte
- Regelmäßige entwicklungsneurologische Kontrollen
- Frühzeitige Förderung bei Entwicklungsverzögerungen
- Beachtung möglicher Lernprobleme (Konzentration, Gedächtnis)
- Psychosoziale Unterstützung bei Bedarf
8. Epilepsie im Alter
Besonderheiten bei älteren Menschen
- Häufigere Anfallsursachen: Schlaganfall, Hirntumor, Demenz
- Komplexere Diagnosestellung (atypische Symptome)
- Nebenwirkungen und Wechselwirkungen der Medikamente beachten
- Anpassung der Dosierung aufgrund veränderter Stoffwechselprozesse
- Erhöhtes Verletzungsrisiko bei Anfällen
Therapieanpassung
- Niedrigere Anfangsdosierungen
- Langsame Dosissteigerung
- Regelmäßige Kontrolle der Medikamentenspiegel
- Beachtung von Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten
- Einfache Einnahmeschemata bevorzugen
9. Psychosoziale Aspekte
Psychische Begleiterkrankungen
Menschen mit Epilepsie haben ein erhöhtes Risiko für:
- Depressionen (bis zu 30%)
- Angststörungen
- Schlafstörungen
- Kognitive Beeinträchtigungen
Stigmatisierung und sozialer Umgang
- Aufklärung im sozialen Umfeld
- Strategien gegen Stigmatisierung
- Selbsthilfegruppen und Austausch mit Betroffenen
- Selbstbewusster Umgang mit der Erkrankung
Familiäre Belastungen
- Beratung für Angehörige
- Entlastungsangebote (z.B. Kurzzeitpflege)
- Familientherapie bei Bedarf
- Geschwister von betroffenen Kindern unterstützen
Empowerment und Selbstmanagement
- Wissen über die eigene Erkrankung
- Erkennen und Vermeiden von Anfallsauslösern
- Regelmäßige Medikamenteneinnahme
- Erarbeitung eines persönlichen Notfallplans
- Selbstvertrauen im Umgang mit der Erkrankung stärken
10. Hilfsangebote und Ressourcen
Deutschland
Selbsthilfeorganisationen
- Deutsche Epilepsievereinigung e.V.
- Website: www.epilepsie-vereinigung.de
- Telefon: 030 342 4414
- E-Mail: info@epilepsie-vereinigung.de
- Bietet Beratung, Informationsmaterialien und Selbsthilfegruppen
- Epilepsie Bundes-Elternverband e.V.
- Website: www.epilepsie-elternverband.de
- Telefon: 0228 61 96 99 1
- E-Mail: kontakt@epilepsie-elternverband.de
- Speziell für Eltern epilepsiekranker Kinder
Medizinische Zentren
- Epilepsiezentrum Berlin-Brandenburg
- Website: www.ezbb.de
- Epilepsiezentrum Bethel, Bielefeld
- Website: www.mara.de
- Epilepsiezentrum Kork
- Website: www.epilepsiezentrum.de
- Übersicht aller Epilepsiezentren in Deutschland
- Website: www.dgfe.info/home/epilepsiezentren
Beratungsstellen und Soziale Dienste
- Epilepsie Beratungsstellen in Deutschland
- Übersicht: www.epilepsie-beratung.de
- Sozialberatung der Deutschen Epilepsievereinigung
- Telefon: 030 342 4414
- Beratung zu sozialrechtlichen Fragen (Schwerbehindertenausweis, Beruf, etc.)
Österreich
Selbsthilfeorganisationen
- Österreichische Epilepsie Gesellschaft
- Website: www.epilepsie-gesellschaft.at
- Informationen für Betroffene und Angehörige
- Epilepsie Interessensgemeinschaft Österreich
- Website: www.epilepsie-ig.at
- E-Mail: office@epilepsie-ig.at
Medizinische Zentren
- Medizinische Universität Wien – Epilepsiezentrum
- Website: www.meduniwien.ac.at/epilepsie
- Universitätsklinik für Neurologie Innsbruck
- Website: neurologie.tirol-kliniken.at
Schweiz
Selbsthilfeorganisationen
- Schweizerische Epilepsie-Liga
- Website: www.epi.ch
- Telefon: 043 488 67 77
- E-Mail: info@epi.ch
- Umfassende Informationen und Beratung
- Epi-Suisse – Schweizerischer Verein für Epilepsie
- Website: www.epi-suisse.ch
- Telefon: 043 488 65 65
- E-Mail: info@epi-suisse.ch
- Selbsthilfegruppen und Freizeitangebote
Medizinische Zentren
- Schweizerisches Epilepsiezentrum Zürich
- Website: www.swissepi.ch
- Spezialklinik für Epilepsiebehandlung
- Universitätsspital Bern – Epileptologie
- Website: www.neurologie.insel.ch
Digitale Ressourcen
Apps
- EpilepsieNetz (kostenlos, Android & iOS)
- Anfallskalender und Medikamentenerinnerung
- AnfallsMonitor (kostenlos, Android & iOS)
- Dokumentation von Anfällen und Medikation
- Eppy (kostenlos, Android & iOS)
- Anfallstagebuch mit Notfallfunktion
Online-Informationen
- Epilepsie-online.de
- Website: www.epilepsie-online.de
- Umfassendes Informationsportal
- Neurologen und Psychiater im Netz
- Website: www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/epilepsie
- Qualitätsgesicherte Informationen
Bücher und Broschüren
- “Leben mit Epilepsie” (Deutsche Epilepsievereinigung)
- “Epilepsie bei Kindern und Jugendlichen” (Stiftung Michael)
- “Epilepsie und Führerschein” (Deutsche Epilepsievereinigung)
- “Sport bei Epilepsie” (Schweizerische Epilepsie-Liga)
Diese Broschüren können meist kostenlos bei den Organisationen bestellt werden.
11. Häufig gestellte Fragen (FAQs)
Allgemeine Fragen zu Epilepsie
F: Ist Epilepsie vererbbar?
A: Epilepsie kann eine genetische Komponente haben, ist aber nicht immer erblich. Bei einigen Epilepsieformen besteht ein höheres Vererbungsrisiko, während andere Formen durch strukturelle Veränderungen im Gehirn oder Unfälle verursacht werden. Wenn ein Elternteil Epilepsie hat, liegt das Risiko für das Kind je nach Epilepsiesyndrom bei etwa 2-10%.
F: Kann Epilepsie geheilt werden?
A: Bei vielen Menschen können die Anfälle durch Medikamente vollständig kontrolliert werden. Etwa 70% der Betroffenen werden mit der richtigen Therapie anfallsfrei. Bei einigen Epilepsieformen, besonders im Kindesalter, kann die Epilepsie “auswachsen”. In bestimmten Fällen kann eine Operation zu Anfallsfreiheit führen. Von einer vollständigen Heilung spricht man oft erst nach mehreren Jahren ohne Anfälle und ohne Medikamente.
F: Kann man an einem epileptischen Anfall sterben?
A: Das direkte Sterberisiko durch einen einzelnen Anfall ist gering. Es besteht jedoch ein erhöhtes Risiko für Unfälle während eines Anfalls. Zudem gibt es das SUDEP (Sudden Unexpected Death in Epilepsy = Plötzlicher unerwarteter Tod bei Epilepsie), der selten auftritt, aber ein reales Risiko darstellt, besonders bei schwer kontrollierbaren Anfällen.
F: Macht Epilepsie weniger intelligent?
A: Nein, Epilepsie selbst führt nicht zu verminderter Intelligenz. Die meisten Menschen mit Epilepsie haben normale kognitive Fähigkeiten. Bei manchen schweren Epilepsieformen oder wenn das Gehirn schwer geschädigt ist, können kognitive Beeinträchtigungen auftreten. Auch einige Medikamente können vorübergehend die Konzentration oder Gedächtnisleistung beeinträchtigen.
Behandlung und Medikamente
F: Muss ich die Medikamente lebenslang nehmen?
A: Nicht unbedingt. Nach längerer Anfallsfreiheit (meist 2-5 Jahre) kann mit dem Arzt über ein langsames Ausschleichen der Medikamente gesprochen werden. Die Entscheidung hängt vom Epilepsiesyndrom, dem EEG-Befund und individuellen Faktoren ab. Etwa 60% der Patienten bleiben auch nach Absetzen der Medikamente anfallsfrei.
F: Was passiert, wenn ich meine Medikamente vergesse?
A: Einzelne vergessene Dosen können meist nachgenommen werden (innerhalb einiger Stunden). Bei häufigem Vergessen steigt das Anfallsrisiko. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt über das Vorgehen bei versäumter Einnahme. Hilfsmittel wie Medikamentenboxen, Handy-Alarme oder Apps können die regelmäßige Einnahme unterstützen.
F: Welche Nebenwirkungen haben Antiepileptika?
A: Häufige Nebenwirkungen sind Müdigkeit, Schwindel, Sehstörungen, Koordinationsprobleme, Hautausschläge und kognitive Effekte. Die meisten Nebenwirkungen treten zu Beginn der Behandlung auf und lassen mit der Zeit nach. Jedes Medikament hat ein eigenes Nebenwirkungsprofil. Bei starken oder anhaltenden Nebenwirkungen sollte der Arzt konsultiert werden.
F: Kann ich während der Schwangerschaft Antiepileptika einnehmen?
A: Ja, in den meisten Fällen ist es wichtiger, die Anfälle zu kontrollieren, als die Medikamente abzusetzen. Allerdings sollte vor einer geplanten Schwangerschaft mit dem Neurologen die Medikation überprüft werden, da einige Antiepileptika (besonders Valproat) mit einem erhöhten Risiko für Fehlbildungen verbunden sein können. Eine engmaschige Überwachung während der Schwangerschaft ist wichtig.
Alltag mit Epilepsie
F: Darf ich mit Epilepsie Auto fahren?
A: Die Regelungen unterscheiden sich je nach Land. In Deutschland gilt in der Regel:
- Nach einem ersten Anfall: 3-6 Monate Fahrpause
- Bei Epilepsie mit wiederholten Anfällen: mindestens 1 Jahr Anfallsfreiheit nötig
- Bei ausschließlich schlafgebundenen Anfällen: nach 3 Jahren Fahrerlaubnis möglich Eine neurologische Begutachtung ist erforderlich. Die Entscheidung trifft letztlich die Führerscheinstelle auf Basis ärztlicher Gutachten.
F: Welche Berufe kann ich mit Epilepsie ausüben?
A: Die meisten Berufe stehen Menschen mit Epilepsie offen. Einschränkungen gibt es bei Tätigkeiten mit erhöhtem Unfallrisiko (z.B. Arbeiten in großer Höhe, mit gefährlichen Maschinen oder an ungesicherten elektrischen Anlagen). Auch Berufe mit Fahrtätigkeiten können problematisch sein. Berufliche Rehabilitationsberatungen und Integrationsfachdienste bieten individuelle Unterstützung.
F: Darf ich mit Epilepsie Sport treiben?
A: Ja, Sport ist grundsätzlich empfehlenswert! Einige Vorsichtsmaßnahmen sind jedoch sinnvoll:
- Nicht alleine schwimmen
- Beim Fahrradfahren immer Helm tragen
- Klettern nur mit Sicherung und Begleitung
- Kampfsportarten nach Rücksprache mit dem Arzt
- Extremsportarten vermeiden Die genauen Empfehlungen richten sich nach Art und Häufigkeit der Anfälle.
F: Kann Alkohol Anfälle auslösen?
A: Alkohol kann das Anfallsrisiko erhöhen, besonders in größeren Mengen oder bei Entzug nach starkem Konsum. Moderate Mengen (z.B. ein Glas Wein) sind für viele Menschen mit gut eingestellter Epilepsie akzeptabel. Alkohol kann auch die Wirkung von Antiepileptika beeinflussen. Besprechen Sie den Alkoholkonsum mit Ihrem Arzt.
F: Welche Anfallsauslöser gibt es?
A: Häufige Auslöser sind:
- Schlafmangel
- Stress
- Vergessene Medikamente
- Alkohol und Drogen
- Fieber und Infektionen
- Hormonelle Schwankungen (z.B. Menstruation)
- Flackernde Lichter (bei fotosensitiver Epilepsie)
- Hypoglykämie (niedriger Blutzucker) Jeder Betroffene hat individuelle Auslöser, die im Anfallskalender dokumentiert werden sollten.
Epilepsie bei Kindern
F: Kann mein Kind mit Epilepsie zur Schule gehen?
A: Ja, die meisten Kinder mit Epilepsie können reguläre Schulen besuchen. Informieren Sie Lehrer über die Epilepsie Ihres Kindes und erstellen Sie einen Notfallplan. Bei Lern- oder Konzentrationsschwierigkeiten können zusätzliche Unterstützungsmaßnahmen hilfreich sein. Nur bei schweren Epilepsieformen oder begleitenden Behinderungen kann eine Förderschule die bessere Option sein.
F: Sollte mein Kind mit Epilepsie an Klassenfahrten teilnehmen?
A: In den meisten Fällen ja. Eine gute Vorbereitung ist wichtig:
- Schriftlicher Notfallplan für die Lehrer
- Medikamentenplan und ausreichend Medikamente mitgeben
- Eventuelle Notfallmedikation und Anleitung
- Kontaktdaten des behandelnden Arztes
- Klare Absprachen zu Aktivitäten mit erhöhtem Risiko (z.B. Schwimmen) Die Teilnahme fördert die soziale Integration und Selbstständigkeit.
F: Verwächst sich Epilepsie bei Kindern?
A: Bei vielen kindlichen Epilepsieformen besteht eine gute Chance, dass sie sich “verwachsen”. Etwa 70% der im Kindesalter beginnenden Epilepsien verlaufen sich bis zum Erwachsenenalter. Besonders gut sind die Prognosen bei bestimmten Syndromen wie der Rolando-Epilepsie oder der kindlichen Absence-Epilepsie. Die konsequente ärztliche Behandlung ist dennoch wichtig.
Soziale und psychologische Aspekte
F: Sollte ich anderen von meiner Epilepsie erzählen?
A: Die Entscheidung ist persönlich. Vorteile der Offenheit sind:
- Bessere Hilfe im Anfallsfall
- Verständnis für mögliche Einschränkungen
- Reduzierung von Missverständnissen
- Abbau von Stigmatisierung Mindestens enge Freunde, Familienmitglieder und direkte Kollegen sollten informiert sein, um im Notfall helfen zu können.
F: Wie gehe ich mit psychischen Belastungen durch die Epilepsie um?
A: Psychische Belastungen sind bei chronischen Erkrankungen normal. Hilfreich sind:
- Austausch in Selbsthilfegruppen
- Psychologische Beratung oder Therapie
- Entspannungstechniken (z.B. Progressive Muskelentspannung, Achtsamkeitsübungen)
- Offene Kommunikation mit Angehörigen
- Sport und Bewegung zur Stressreduktion Bei Anzeichen einer Depression oder Angststörung frühzeitig professionelle Hilfe suchen.
F: Habe ich Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis?
A: In Deutschland wird der Grad der Behinderung (GdB) individuell festgelegt:
- Bei Anfallsfreiheit unter Medikation: meist GdB 50-60 für 5 Jahre, danach eventuell Reduzierung
- Bei regelmäßigen Anfällen: GdB 60-100 je nach Schwere und Häufigkeit Die Beantragung erfolgt beim Versorgungsamt. Ein Schwerbehindertenausweis kann Nachteilsausgleiche im Beruf, Steuervergünstigungen und andere Vorteile bieten.
Notfälle und medizinische Fragen
F: Wann soll bei einem Anfall der Notarzt gerufen werden?
A: Ein Notarzt sollte gerufen werden, wenn:
- Der Anfall länger als 5 Minuten dauert
- Mehrere Anfälle ohne Erholung dazwischen auftreten
- Eine Verletzung eingetreten ist
- Atemnot besteht
- Es der erste bekannte Anfall ist
- Die Person schwanger ist
- Nach 10 Minuten kein Aufwachen aus der Bewusstlosigkeit erkennbar ist
- Unsicherheit besteht
F: Was sind die Unterschiede zwischen Epilepsie und nicht-epileptischen Anfällen?
A: Nicht-epileptische (psychogene) Anfälle ähneln epileptischen Anfällen, werden aber nicht durch abnorme elektrische Aktivität im Gehirn verursacht. Unterschiede können sein:
- Längere Dauer
- Rhythmische Beckenbewegungen
- Geschlossene Augen während des Anfalls
- Reagieren auf äußere Reize
- Nicht-typische Bewegungsmuster Die sichere Unterscheidung erfolgt meist im Video-EEG-Monitoring. Nicht-epileptische Anfälle benötigen eine psychologische/psychiatrische Behandlung statt Antiepileptika.
F: Können neue Therapien oder Operationen meine Epilepsie heilen?
A: Die Forschung entwickelt ständig neue Behandlungsansätze. Aktuelle Entwicklungen umfassen:
- Neue Antiepileptika mit weniger Nebenwirkungen
- Verbesserte Neurostimulationsverfahren
- Präzisere chirurgische Techniken (z.B. Laser-Ablation)
- Gentherapie für bestimmte genetische Epilepsieformen
- Personalisierte Medizin auf Basis genetischer Analyse Fragen Sie Ihren Epileptologen nach neuen Behandlungsmöglichkeiten für Ihre spezifische Epilepsieform.
F: Wie oft sollte ich zum Neurologen gehen?
A: Die Häufigkeit der Kontrollen richtet sich nach der Anfallssituation:
- Bei neu diagnostizierter Epilepsie oder Medikamentenumstellung: alle 3-6 Wochen
- Bei stabiler Einstellung ohne Anfälle: alle 6-12 Monate
- Bei häufigen oder schwer kontrollierbaren Anfällen: alle 2-3 Monate Kontrolluntersuchungen umfassen Gespräche über die Anfallssituation, eventuell Blutkontrollen und in größeren Abständen EEG-Untersuchungen.