Der ultimative Migräne-Ratgeber für Betroffene und Angehörige
Inhaltsverzeichnis
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Was ist Migräne?
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Symptome erkennen
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Auslöser (Trigger) identifizieren
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Diagnose und Arztbesuch
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Behandlungsmöglichkeiten
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Akuttherapie
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Prophylaxe
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Nicht-medikamentöse Ansätze
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Umgang mit Migräne im Alltag
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Migräne und Beruf
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Migräne bei Kindern und Jugendlichen
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Unterstützung für Angehörige
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Hilfsangebote und Ressourcen im deutschsprachigen Raum
1. Was ist Migräne?
Migräne ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederkehrende Kopfschmerzattacken gekennzeichnet ist. Sie gehört zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen weltweit und betrifft etwa 15% der Bevölkerung, wobei Frauen etwa dreimal häufiger betroffen sind als Männer.
Wichtig zu verstehen:
- Migräne ist keine “normale” Kopfschmerzerkrankung, sondern eine komplexe neurologische Störung
- Sie verläuft in Attacken, zwischen denen beschwerdefreie Intervalle liegen
- Die Erkrankung hat eine starke genetische Komponente
- Migräne ist eine anerkannte chronische Erkrankung
Neurobiologischer Hintergrund: Bei einer Migräneattacke kommt es zu einer Aktivierung des Trigeminovaskulären Systems – einem Netzwerk aus Nervenfasern und Blutgefäßen im Gehirn. Dies führt zu Entzündungsprozessen und der Freisetzung von Botenstoffen, die Schmerzen und begleitende Symptome auslösen.
2. Symptome erkennen
Migräne äußert sich durch verschiedene Symptome, die in Phasen verlaufen können:
1. Prodromalphase (Vorboten, Stunden bis Tage vor der Attacke)
- Stimmungsschwankungen (Gereiztheit, Depression oder ungewöhnlich gute Laune)
- Heißhunger oder Appetitlosigkeit
- Müdigkeit oder übermäßige Energie
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Nackensteifheit
- Verstärkte Sinnesempfindlichkeit
2. Auraphase (bei etwa 30% der Betroffenen)
- Sehstörungen (Flimmern, Zickzack-Linien, blinde Flecken)
- Kribbeln oder Taubheitsgefühle in Gesicht oder Extremitäten
- Sprachstörungen
- In seltenen Fällen: vorübergehende Lähmungserscheinungen
- Dauert typischerweise 5-60 Minuten
3. Kopfschmerzphase
- Meist einseitiger, pulsierender oder pochender Kopfschmerz
- Verstärkung bei körperlicher Aktivität
- Dauer: 4-72 Stunden (unbehandelt)
- Begleitsymptome:
- Übelkeit und/oder Erbrechen
- Licht- und Lärmempfindlichkeit
- Geruchsempfindlichkeit
- Schwindel
4. Rückbildungsphase
- Allmähliches Abklingen der Schmerzen
- Oft Erschöpfung und Müdigkeit
- Konzentrationsprobleme
- Kann bis zu 24 Stunden dauern
Unterschied zu anderen Kopfschmerzen: Im Gegensatz zu Spannungskopfschmerzen ist Migräne oft einseitig, pulsierend und wird durch körperliche Aktivität verstärkt. Begleitsymptome wie Übelkeit und Lichtempfindlichkeit sind charakteristisch für Migräne.
3. Auslöser (Trigger) identifizieren
Die Identifikation persönlicher Auslöser ist ein wichtiger Schritt im Management von Migräne. Häufige Trigger sind:
Lebensstil-bezogene Trigger
- Unregelmäßiger Schlaf (zu viel/zu wenig)
- Mahlzeiten auslassen
- Dehydration
- Körperliche Überanstrengung oder Inaktivität
- Stress und Stressabbau (“Weekend-Migräne”)
Umwelt-Trigger
- Helles oder flackerndes Licht
- Laute Geräusche
- Starke Gerüche
- Wetterveränderungen
- Höhenveränderungen
Nahrungsmittel und Getränke
- Alkohol, insbesondere Rotwein
- Koffein (zu viel oder plötzlicher Entzug)
- Bestimmte Käsesorten
- Histaminreiche Lebensmittel
- Mononatriumglutamat (MSG)
- Künstliche Süßstoffe
Hormonelle Faktoren (bei Frauen)
- Menstruation
- Hormonelle Verhütungsmittel
- Schwangerschaft
- Menopause
Tipps zur Trigger-Identifikation:
- Führen Sie ein Migräne-Tagebuch (digital oder analog)
- Dokumentieren Sie:
- Zeitpunkt und Dauer der Attacken
- Intensität der Schmerzen
- Begleitsymptome
- Eingenommene Medikamente und deren Wirkung
- Potenzielle Auslöser (Ernährung, Schlaf, Stress, Wetter, etc.)
- Nutzen Sie Apps wie “M-sense” oder “Migräne-App” der Techniker Krankenkasse
- Versuchen Sie nach einigen Wochen Muster zu erkennen
- Eliminieren Sie identifizierte Trigger schrittweise
4. Diagnose und Arztbesuch
Die Diagnose der Migräne wird hauptsächlich klinisch gestellt – das bedeutet anhand der Beschreibung Ihrer Symptome und Ihrer Krankengeschichte.
Vorbereitung auf den Arztbesuch
- Dokumentieren Sie Ihre Symptome detailliert
- Notieren Sie Häufigkeit, Dauer und Intensität der Attacken
- Bringen Sie bereits ausprobierte Medikamente mit
- Erstellen Sie eine Übersicht Ihrer Familiengeschichte bezüglich Kopfschmerzen
- Führen Sie ein Migräne-Tagebuch und bringen Sie es mit
Die richtigen Ansprechpartner
- Hausarzt: Erste Anlaufstelle
- Neurologe: Spezialist für neurologische Erkrankungen
- Kopfschmerzzentren: Spezialisierte Einrichtungen mit interdisziplinären Teams
- Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) bietet eine Liste zertifizierter Zentren
Diagnoseverfahren
- Ausführliches Anamnesegespräch
- Körperliche und neurologische Untersuchung
- Bei Bedarf bildgebende Verfahren (MRT, CT), um andere Ursachen auszuschließen
- Selten weitere diagnostische Tests wie Blutuntersuchungen oder Lumbalpunktion
Klassifikation
Die Internationale Kopfschmerzgesellschaft (IHS) unterscheidet:
- Migräne ohne Aura
- Migräne mit Aura
- Chronische Migräne (≥15 Kopfschmerztage/Monat, davon ≥8 mit Migränecharakteristik)
- Weitere seltenere Unterformen
5. Behandlungsmöglichkeiten
Die Behandlung der Migräne basiert auf drei Säulen:
- Akuttherapie (zur Behandlung einer Attacke)
- Prophylaxe (zur Vorbeugung)
- Nicht-medikamentöse Maßnahmen
Akuttherapie
Nicht-verschreibungspflichtige Medikamente
- Schmerzmittel: Ibuprofen, ASS, Paracetamol, Diclofenac
- Kombipräparate: z.B. mit Koffein
- Wichtig: Nicht häufiger als an 10 Tagen pro Monat einnehmen, um medikamenteninduzierten Kopfschmerz zu vermeiden
Verschreibungspflichtige Medikamente
- Triptane (Serotonin-Agonisten):
- Wirken spezifisch bei Migräne
- Verschiedene Wirkstoffe (z.B. Sumatriptan, Rizatriptan, Zolmitriptan)
- Verschiedene Darreichungsformen (Tabletten, Nasenspray, Injektionen)
- Frühzeitige Einnahme erhöht Wirksamkeit
- Ergotamine: Ältere Medikamentenklasse, heute seltener eingesetzt
- CGRP-Antagonisten (z.B. Ubrogepant): Neuere Wirkstoffklasse
- Antiemetika: Bei starker Übelkeit
Tipps zur Akuttherapie
- Medikamente frühzeitig einnehmen
- Ausreichende Dosierung wählen
- Stufenschema: Mit einfachen Schmerzmitteln beginnen, bei Unwirksamkeit auf Triptane umsteigen
- Bei starker Übelkeit: Zäpfchen, Nasensprays oder Injektionen in Betracht ziehen
- Nach Einnahme: Ruhepause in dunkler, ruhiger Umgebung
Prophylaxe
Eine vorbeugende Behandlung wird empfohlen bei:
- ≥3 Migräneattacken pro Monat
- Sehr schweren, langanhaltenden Attacken
- Unzureichender Wirkung der Akuttherapie
- Kontraindikationen für die Akuttherapie
Klassische Prophylaktika
- Betablocker: Metoprolol, Propranolol
- Antikonvulsiva: Topiramat, Valproinsäure
- Antidepressiva: Amitriptylin
- Kalziumantagonisten: Flunarizin
Moderne Prophylaktika
- CGRP-(Rezeptor)-Antikörper:
- Erenumab, Galcanezumab, Fremanezumab, Eptinezumab
- Monatliche Selbstinjektion oder Infusion
- Weniger Nebenwirkungen als klassische Prophylaktika
- Derzeit teilweise noch eingeschränkte Erstattungsfähigkeit
Naturheilkundliche Prophylaxe
- Petasites (Pestwurz-Extrakt)
- Magnesium
- Vitamin B2 (Riboflavin)
- Coenzym Q10
Tipps zur Prophylaxe
- Geduldige Herangehensweise: Wirkung zeigt sich oft erst nach Wochen
- Ausreichend lange Anwendung (mind. 3 Monate)
- Regelmäßige Überprüfung der Wirksamkeit
- Langsames Ausschleichen bei Beendigung der Therapie
Nicht-medikamentöse Ansätze
Entspannungsverfahren
- Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson
- Autogenes Training
- Biofeedback-Verfahren
- Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR)
Verhaltenstherapie
- Erlernen von Stressbewältigungsstrategien
- Umgang mit Triggerfaktoren
- Veränderung von Denk- und Verhaltensmustern
Physikalische Therapien
- Ausdauersport: Regelmäßiges moderates Training
- Akupunktur: Evidenz für Wirksamkeit bei Migräne vorhanden
- Physiotherapie: Besonders bei Verspannungen im Nacken-Schulter-Bereich
- Neuromodulationsverfahren: TENS, tDCS, tVNS
Lebensstilmodifikationen
- Regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus
- Regelmäßige Mahlzeiten
- Ausreichende Flüssigkeitszufuhr
- Stressmanagement
- Meidung persönlicher Trigger
6. Umgang mit Migräne im Alltag
Strukturierter Tagesablauf
- Zu ähnlichen Zeiten aufstehen und schlafen gehen, auch am Wochenende
- Regelmäßige Mahlzeiten einplanen
- Feste Pausen und Erholungszeiten einrichten
- Genügend Zeit für Aktivitäten einplanen, um Stress zu vermeiden
Krisenplan für akute Attacken
- Notfallset bereithalten (Medikamente, Sonnenbrille, Ohrstöpsel)
- Rückzugsmöglichkeiten identifizieren (zu Hause, am Arbeitsplatz)
- Transportmöglichkeiten organisieren
- Kontaktpersonen festlegen, die im Notfall helfen können
Kommunikation mit dem Umfeld
- Offener Umgang mit der Erkrankung
- Aufklärung von Familie, Freunden und Kollegen
- Klare Grenzen setzen und Bedürfnisse kommunizieren
- Missverständnissen vorbeugen (“Ich habe nicht nur Kopfschmerzen”)
Selbstfürsorge
- Eigene Grenzen akzeptieren
- Bewusster Umgang mit Energie (Spoon Theory)
- Schuld- und Schamgefühle reduzieren
- Selbsthilfegruppen oder Austausch mit anderen Betroffenen suchen
7. Migräne und Beruf
Rechtliche Aspekte
- Migräne kann als chronische Erkrankung anerkannt werden
- Bei starker Beeinträchtigung: Möglichkeit der Anerkennung eines Grades der Behinderung (GdB)
- Rechte auf angemessene Arbeitsbedingungen
Arbeitsplatzgestaltung
- Gespräch mit Vorgesetzten und Betriebsarzt suchen
- Mögliche Anpassungen:
- Flexible Arbeitszeiten
- Homeoffice-Optionen
- Anpassung der Beleuchtung (Anti-Flimmer-Lampen)
- Ruhige Arbeitsumgebung
- Ergonomische Arbeitsplatzgestaltung
Strategien für den Berufsalltag
- Priorisierung wichtiger Aufgaben zu Tageszeiten mit höherer Leistungsfähigkeit
- Pausen einlegen und Entspannungsübungen durchführen
- Trigger am Arbeitsplatz identifizieren und minimieren
- Notfallplan für akute Attacken während der Arbeitszeit
8. Migräne bei Kindern und Jugendlichen
Besonderheiten
- Migräneattacken oft kürzer als bei Erwachsenen (2-4 Stunden)
- Häufig beidseitige Kopfschmerzen
- Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen können im Vordergrund stehen
- “Zyklisches Erbrechen” als Vorläufer möglich
Diagnose
- Kinderärzte und Kinderneurologen als Ansprechpartner
- Führen eines altersgerechten Kopfschmerztagebuchs
- Ausschluss anderer Ursachen
Behandlung
- Angepasste Dosierungen bei Medikamenten
- Besondere Bedeutung nicht-medikamentöser Ansätze:
- Entspannungstechniken
- Regelmäßiger Tagesablauf
- Ausreichend Schlaf
- Regelmäßiger Sport
Schule und Migräne
- Information der Lehrkräfte
- Nachteilsausgleich bei starker Beeinträchtigung möglich
- Schulpsychologischer Dienst als Unterstützung
- Umgang mit versäumtem Unterrichtsstoff
9. Unterstützung für Angehörige
Verständnis entwickeln
- Migräne ist eine neurologische Erkrankung, keine Charakterschwäche
- Erscheinungsformen und Schweregrade können stark variieren
- Die Erkrankung ist nicht sichtbar, aber real und belastend
Praktische Hilfestellungen
- Den Betroffenen während einer Attacke unterstützen:
- Für eine ruhige, dunkle Umgebung sorgen
- Bei Bedarf Medikamente reichen
- Kühle Kompressen anbieten
- Respektvollen Abstand wahren, wenn gewünscht
- Im Alltag:
- Bei der Identifikation von Triggern helfen
- An regelmäßige Mahlzeiten und Pausen erinnern
- Verständnis für Absagen oder Planänderungen zeigen
Eigene Grenzen wahren
- Selbstfürsorge nicht vernachlässigen
- Eigene Freiräume bewahren
- Bei Bedarf professionelle Unterstützung suchen
- Austausch mit anderen Angehörigen in Selbsthilfegruppen
Kommunikation
- Offene Gespräche über Bedürfnisse beider Seiten
- Gemeinsame Strategien für Krisenzeiten entwickeln
- Anerkennung der Belastung für alle Beteiligten
- Fokus auf das Positive und auf beschwerdefreie Zeiten legen
10. Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Allgemeine Fragen zur Migräne
F: Ist Migräne heilbar?
A: Migräne ist derzeit nicht vollständig heilbar, aber in den meisten Fällen gut behandelbar. Mit der richtigen Kombination aus Medikamenten, Lebensstiländerungen und nicht-medikamentösen Therapien können Häufigkeit und Schwere der Attacken oft deutlich reduziert werden.
F: Ist Migräne vererbbar?
A: Ja, Migräne hat eine starke genetische Komponente. Wenn ein Elternteil unter Migräne leidet, liegt das Risiko für Kinder bei etwa 50%. Sind beide Elternteile betroffen, steigt das Risiko auf bis zu 75%.
F: Kann Migräne gefährlich werden?
A: Migräne selbst ist keine lebensbedrohliche Erkrankung. In sehr seltenen Fällen kann jedoch ein Zusammenhang mit dem erhöhten Risiko für Schlaganfälle bestehen, insbesondere bei Migräne mit Aura, in Kombination mit Rauchen und der Einnahme hormoneller Verhütungsmittel. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt über individuelle Risikofaktoren.
F: Warum sind mehr Frauen als Männer von Migräne betroffen?
A: Der Geschlechterunterschied hängt hauptsächlich mit hormonellen Faktoren zusammen. Östrogenschwankungen, wie sie während des Menstruationszyklus auftreten, können Migräneattacken auslösen. Vor der Pubertät ist das Verhältnis zwischen Jungen und Mädchen ausgeglichen.
Diagnose und Behandlung
F: Wann sollte ich mit Migräne zum Arzt gehen?
A: Sie sollten einen Arzt aufsuchen, wenn:
- Sie zum ersten Mal starke Kopfschmerzen erleben
- Sich das Muster Ihrer Kopfschmerzen verändert
- Die Kopfschmerzen plötzlich und heftig einsetzen (“Donnerschlag-Kopfschmerz”)
- Kopfschmerzen nach einer Kopfverletzung auftreten
- Kopfschmerzen mit Fieber, Nackensteifigkeit, Verwirrung, Krampfanfällen, doppeltem Sehen oder Taubheitsgefühlen einhergehen
- Ihre Migräneattacken häufiger oder stärker werden
- Ihre bisherige Behandlung nicht mehr wirkt
F: Welche Untersuchungen sind zur Diagnose notwendig?
A: Die Diagnose wird hauptsächlich anhand Ihrer Symptombeschreibung und Krankengeschichte gestellt. Neurologische Untersuchungen dienen dem Ausschluss anderer Erkrankungen. Bildgebende Verfahren wie MRT oder CT sind nur erforderlich, wenn Zweifel an der Diagnose bestehen oder atypische Symptome vorliegen.
F: Was ist der Unterschied zwischen Triptanen und normalen Schmerzmitteln?
A: Normale Schmerzmittel (wie Ibuprofen oder Paracetamol) wirken allgemein schmerzlindernd. Triptane hingegen wurden speziell für Migräne entwickelt. Sie wirken auf die Serotonin-Rezeptoren im Gehirn, verengen erweiterte Blutgefäße und hemmen die Freisetzung entzündlicher Botenstoffe. Triptane bekämpfen nicht nur den Schmerz, sondern auch Begleitsymptome wie Übelkeit und Lichtempfindlichkeit.
F: Ab wann ist eine Migräneprophylaxe sinnvoll?
A: Eine vorbeugende Behandlung sollte in Betracht gezogen werden, wenn:
- Sie drei oder mehr Migräneattacken pro Monat haben
- Ihre Attacken länger als 72 Stunden anhalten
- Akutmedikamente nicht ausreichend wirken
- Sie Akutmedikamente an mehr als 10 Tagen im Monat einnehmen müssen
- Die Migräne Ihre Lebensqualität erheblich einschränkt
- Bestimmte Formen der Migräne vorliegen (z.B. hemiplegische Migräne)
F: Was sind CGRP-Antikörper und für wen sind sie geeignet?
A: CGRP-Antikörper sind eine neue Klasse von Migränemedikamenten, die gezielt in den Migränemechanismus eingreifen. Sie blockieren entweder das Peptid CGRP oder dessen Rezeptor, die bei Migräneattacken eine wichtige Rolle spielen. Sie werden als monatliche Injektion oder vierteljährliche Infusion verabreicht. Sie sind für Patienten mit chronischer oder hochfrequenter episodischer Migräne geeignet, bei denen mindestens zwei Standard-Prophylaktika nicht ausreichend gewirkt haben. Die Verordnung erfolgt in der Regel durch Neurologen.
Alltag mit Migräne
F: Wie erkläre ich meinem Umfeld, dass Migräne mehr als “nur Kopfschmerzen” ist?
A: Erklären Sie, dass Migräne eine neurologische Erkrankung ist, die das gesamte Gehirn betrifft. Vergleiche können helfen: “Stell dir vor, deine Sinne wären auf das Zehnfache verstärkt – jedes Geräusch, jedes Licht verursacht Schmerz.” Oder: “Es ist, als würde jemand mit einem Hammer in deinem Kopf pochen, während dir gleichzeitig übel ist und du kaum sehen kannst.” Teilen Sie vertrauenswürdige Informationsquellen und laden Sie nahestehende Personen ein, Sie zu einem Arztbesuch zu begleiten.
F: Wie gehe ich mit Migräne am Arbeitsplatz um?
A:
- Informieren Sie Vorgesetzte und enge Kollegen über Ihre Erkrankung
- Identifizieren Sie einen ruhigen Rückzugsort für akute Attacken
- Bitten Sie um Anpassungen wie blendfreie Beleuchtung oder Lärmreduzierung
- Erwägen Sie flexible Arbeitszeiten oder Homeoffice-Möglichkeiten
- Halten Sie ein Notfallset mit Medikamenten bereit
- Priorisieren Sie wichtige Aufgaben in Ihren “besseren” Stunden
- Kennen Sie Ihre Rechte (bei schwerer Beeinträchtigung können Nachteilsausgleiche möglich sein)
F: Kann ich mit Migräne Sport treiben?
A: Ja, regelmäßige moderate Bewegung kann sogar zur Reduzierung der Attackenhäufigkeit beitragen. Geeignet sind Ausdauersportarten mit gleichmäßiger Belastung wie Schwimmen, Radfahren oder Walking. Beginnen Sie langsam und steigern Sie die Intensität allmählich. Vermeiden Sie hingegen:
- Plötzliche, intensive Anstrengungen
- Sportarten mit hohem Verletzungsrisiko für den Kopf
- Übungen mit starken Erschütterungen
- Sport bei extremer Hitze
- Dehydration während des Trainings
F: Kann ich mit Migräne schwanger werden und stillen?
A: Ja, Migräne ist kein Hindernis für eine Schwangerschaft. Bei etwa 60-70% der Betroffenen verbessert sich die Migräne sogar während der Schwangerschaft, besonders ab dem zweiten Trimester. Allerdings müssen viele Migränemedikamente während Schwangerschaft und Stillzeit vermieden werden. Besprechen Sie daher frühzeitig mit Ihrem Neurologen und Gynäkologen eine angepasste Behandlungsstrategie. Nicht-medikamentöse Verfahren gewinnen in dieser Zeit besondere Bedeutung.
F: Welche Nahrungsergänzungsmittel können bei Migräne helfen?
A: Einige Nahrungsergänzungsmittel zeigen in Studien eine prophylaktische Wirkung:
- Magnesium (400-600 mg täglich)
- Vitamin B2/Riboflavin (400 mg täglich)
- Coenzym Q10 (100-300 mg täglich)
- Petasites/Pestwurzextrakt (in zugelassenen Präparaten) Sprechen Sie vor der Einnahme mit Ihrem Arzt, besonders wenn Sie andere Medikamente einnehmen oder Vorerkrankungen haben.
Besondere Situationen
F: Was tun, wenn ich meine Migränemedikamente vergessen habe?
- Bei leichteren Attacken: Versuchen Sie frei verkäufliche Schmerzmittel aus der Apotheke
- Nutzen Sie nicht-medikamentöse Maßnahmen: Rückzug in dunkle, ruhige Umgebung, kalte Kompressen
- In manchen Fällen können Apotheken im Notfall ein Medikament ohne Rezept abgeben
- Bei sehr schweren Attacken: Notfallambulanz aufsuchen
- Für die Zukunft: Legen Sie ein Notfallset an mehreren Orten an (Zuhause, Arbeit, Tasche)
F: Wie kann ich Migräne auf Reisen managemen?
- Nehmen Sie ausreichend Medikamente mit (mehr als Sie voraussichtlich brauchen)
- Bewahren Sie Medikamente im Handgepäck auf (bei Flugreisen)
- Führen Sie ein mehrsprachiges Attest für verschreibungspflichtige Medikamente mit
- Recherchieren Sie vorab medizinische Versorgungsmöglichkeiten am Zielort
- Minimieren Sie Trigger während der Reise (regelmäßige Mahlzeiten, ausreichend Schlaf)
- Planen Sie Pausen und Ruhetage ein
- Packen Sie Hilfsmittel wie Schlafmaske, Ohrstöpsel und Kühlpacks ein
F: Was kann ich tun, wenn meine Kinder unter Migräne leiden?
- Suchen Sie einen auf Kinder spezialisierten Neurologen auf
- Führen Sie ein altersgerechtes Migränetagebuch (mit Bildern für jüngere Kinder)
- Achten Sie auf einen regelmäßigen Tagesablauf mit ausreichend Schlaf
- Informieren Sie Lehrer und Betreuungspersonen
- Üben Sie kindgerechte Entspannungstechniken
- Vermeiden Sie bekannte Triggerfaktoren
- Stellen Sie sicher, dass Ihr Kind ausreichend trinkt und regelmäßig isst
- Vermeiden Sie Überforderung und planen Sie “Auszeiten” ein
F: Kann Migräne sich im Alter verändern?
A: Ja, bei vielen Menschen verändert sich die Migräne im Laufe des Lebens. Bei Frauen verbessert sich die Migräne häufig nach der Menopause. Generell nimmt die Attackenhäufigkeit im höheren Alter oft ab. Allerdings kann sich auch das Erscheinungsbild ändern – manche Betroffene erleben weniger Begleitsymptome wie Übelkeit, dafür können die Kopfschmerzen andauernder werden. Bei deutlichen Veränderungen sollten Sie immer einen Arzt konsultieren, um andere Ursachen auszuschließen.
11. Hilfsangebote und Ressourcen im deutschsprachigen Raum
Deutschland
Fachgesellschaften und Informationsportale
- Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG)
- Informationen für Patienten und Ärztesuche
- Zertifizierte Kopfschmerzzentren
- Patientenleitlinien
- Migräne-Liga e.V. Deutschland
- Patientenorganisation
- Selbsthilfegruppen in ganz Deutschland
- Informationsmaterialien
- Schmerzklinik Kiel
- Umfangreiches Informationsportal
- Online-Kopfschmerzkalender
Krankenkassen-Angebote
Spezialisierte Kliniken und Zentren
- DKD HELIOS Klinik Wiesbaden
- Universitätsklinikum Essen – Westdeutsches Kopfschmerzzentrum
- Charité Berlin – Kopfschmerzzentrum
Österreich
Fachgesellschaften und Informationsportale
- Österreichische Kopfschmerzgesellschaft
- Patienteninformationen
- Ärztesuche
- Newsletter
- Österreichische Schmerzgesellschaft
- Informationen zu chronischen Schmerzen
- Schmerzambulanzen in Österreich
Spezialisierte Zentren
Schweiz
Fachgesellschaften und Informationsportale
- Schweizerische Kopfwehgesellschaft
- Patienteninformationen in mehreren Sprachen
- Kopfwehzentren in der Schweiz
- Fortbildungsangebote
- Migraine Action Schweiz
- Patientenorganisation
- Informationen und Veranstaltungen
- Coaching-Angebote
Spezialisierte Zentren
Allgemeine Online-Ressourcen
Apps
- M-sense: Digitales Migräne-Tagebuch mit Analysen und Tipps
- Migräne-App der TK: Kopfschmerztagebuch mit Frühwarnsystem
- Headache-App der AOK: Kopfschmerztagebuch und Coaching
Online-Communities
Podcasts
- “Kopfsache Migräne” (Novartis)
- “Migräne Wissen” (DMKG)
- “Kopfzerbrechen” (Unabhängiger Podcast)
Dieser Ratgeber ersetzt nicht die professionelle medizinische Beratung. Bitte konsultieren Sie bei gesundheitlichen Beschwerden immer einen Arzt oder eine Ärztin.
Letzte Aktualisierung: Februar 2025