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Ja, Haustiere können viele der gleichen neurologischen Störungen entwickeln wie Menschen. Von Epilepsie über Gehirntumoren bis hin zu Gleichgewichtsstörungen – das Nervensystem unserer Vierbeiner ist komplex und anfällig für verschiedene Erkrankungen. Die gute Nachricht: Viele neurologische Probleme bei Hunden und Katzen sind behandelbar, wenn sie frühzeitig erkannt werden.
Das Nervensystem unserer Haustiere: Komplexer als gedacht
Das Gehirn einer Katze mag nur golfballgroß sein, aber es ist fast genauso komplex wie das menschliche Gehirn. Sowohl Hunde als auch Katzen können die gleichen Gehirn-, Rückenmark- und neuromuskulären Probleme entwickeln wie Menschen. Das Nervensystem besteht aus Gehirn, Rückenmark, Nerven und Muskeln – und jeder Teil kann von neurologischen Erkrankungen betroffen sein.
Die häufigsten neurologischen Störungen bei Haustieren
1. Epilepsie – Wenn das Gehirn “kurzschließt”
Epilepsie ist die häufigste neurologische Störung bei Hunden und betrifft schätzungsweise 0,75% der Hundepopulation. Es gibt drei Haupttypen:
Idiopathische Epilepsie ist die häufigste Form und tritt typischerweise bei Hunden zwischen 1-5 Jahren auf. Die Ursache ist meist genetisch bedingt, besonders bei bestimmten Rassen. Deutsche Schäferhunde, Australian Shepherds und Labrador Retriever sind besonders anfällig.
Strukturelle Epilepsie entsteht durch sichtbare Hirnschäden wie Tumore, Entzündungen oder Traumata.
Reaktive Anfälle werden durch externe Faktoren wie Vergiftungen oder Stoffwechselstörungen ausgelöst.
Wie erkennen Sie einen epileptischen Anfall?
- Bewusstlosigkeit und Kollaps
- Steife oder zuckende Gliedmaßen
- Speichelfluss
- Möglicher Verlust der Blasen-/Darmkontrolle
- Anfälle dauern meist 30 Sekunden bis eine Minute
2. Gehirntumoren – Nicht nur bei älteren Tieren
Krebs im Gehirn ist bei älteren Hunden und Katzen nicht ungewöhnlich, obwohl die Notwendigkeit fortgeschrittener Bildgebung bedeutet, dass sie oft undiagnostiziert bleiben.
Bei Hunden sind Meningiome, Gliome und Ependymome die häufigsten Arten. Bestimmte größere Rassen wie Boxer und Golden Retriever haben ein erhöhtes Risiko.
Bei Katzen macht das Meningiom etwa 75% aller Gehirntumoren aus. Die gute Nachricht: Diese Tumoren sind meist gutartig und chirurgisch gut entfernbar.
Warnsignale für Gehirntumoren:
- Neue Anfälle bei Tieren über 5 Jahren
- Verhaltensänderungen
- Gleichgewichtsstörungen
- Sehstörungen
- Koordinationsprobleme
3. Vestibularerkrankung – Wenn die Welt sich dreht
Die meisten Hunde zeigen plötzlichen Gleichgewichtsverlust, Desorientierung, Kopfschiefhaltung und unregelmäßige, ruckartige Augenbewegungen namens Nystagmus.
Diese Erkrankung wird oft als “Schlaganfall des alten Hundes” bezeichnet, ist aber meist harmlos. Die Symptome sind typischerweise in den ersten 24-48 Stunden am schwersten, dann zeigt sich eine deutliche Besserung innerhalb von 72 Stunden.
Ursachen können sein:
- Mittel- oder Innenohrentzündungen
- Tumoren oder Polypen im Ohr
- Schilddrüsenunterfunktion
- Traumata
- Bestimmte Medikamente
4. Intervertebrale Bandscheibenerkrankung (IVDD)
Besonders Dackel und Französische Bulldoggen sind anfällig für Bandscheibenprobleme. Wenn eine Bandscheibe verrutscht und auf das Rückenmark oder eine Nervenwurzel drückt, kann es zu Lähmungen kommen. Eine schnelle chirurgische Intervention ist oft entscheidend für die Genesung.
Moderne Diagnostik: High-Tech für Vierbeiner
Die Tiermedizin hat sich revolutioniert. Tierärztliche Neurologen haben eine breite Palette fortgeschrittener diagnostischer Verfahren zur Verfügung, einschließlich 1,5-Tesla-MRT, 64-Schicht-CT-Scan, Myelographie, Rückenmarksflüssigkeitsanalyse und Muskel- und Nervenbiopsien.
Wichtige Diagnoseverfahren:
- MRI (Magnetresonanztomographie): Der Goldstandard für Gehirndiagnostik
- CT-Scans: Gut für Knochen- und Schädeluntersuchungen
- Cerebrospinalflüssigkeits-Analyse: Aufschluss über Entzündungen oder Infektionen
- BAER-Test: Überprüfung des Hörvermögens
- EMG/NCV: Muskel- und Nervenfunktionstests
Behandlungsmöglichkeiten: Von Medikamenten bis zur Mikrochirurgie
Medikamentöse Behandlung
- Antiepileptika wie Phenobarbital für Epilepsie
- Corticosteroide zur Reduktion von Hirnschwellungen
- Antibiotika bei bakteriellen Infektionen
- Anti-Übelkeitsmedikamente bei Vestibularerkrankungen
Chirurgische Eingriffe
Mehrere Studien zeigen, dass die Prognose für einen Hund mit einem primären Gehirntumor durch chirurgische Entfernung des Tumors, Strahlentherapie und/oder Chemotherapie erheblich verbessert werden kann.
Moderne Verfahren umfassen:
- Hemilaminektomie bei Bandscheibenproblemen
- Kraniotomie für Gehirntumore
- Stereotaktisch-geführte Gehirnbiopsien
- Neuroendoskopie
Strahlen- und Chemotherapie
Diese Behandlungen werden zunehmend erfolgreicher eingesetzt, besonders bei Gehirntumoren und bestimmten Krebsarten.
Rasseprädispositionen: Genetik spielt eine Rolle
Hunde mit erhöhtem Epilepsierisiko:
- Deutsche Schäferhunde
- Australian Shepherds
- Labrador Retriever
- Golden Retriever
Rassen mit erhöhtem Vestibularerkrankungsrisiko: Eine kürzlich durchgeführte Studie im Journal of Veterinary Internal Medicine mit über 905.000 Hunden in Großbritannien ergab, dass Französische Bulldoggen, Bulldoggen und Cavalier King Charles Spaniels die höchsten Chancen auf eine Vestibularerkrankungsdiagnose hatten.
Bandscheibenprobleme:
- Dackel
- Französische Bulldoggen
- Beagle
- Shih Tzu
Wann sollten Sie handeln? Warnsignale erkennen
Sofort zum Tierarzt bei:
- Ersten Anfällen
- Plötzlicher Bewusstlosigkeit
- Akuter Lähmung
- Schwerer Desorientierung
Zeitnahe Beratung bei:
- Verhaltensänderungen
- Koordinationsproblemen
- Kopfschiefhaltung
- Appetitveränderungen
Prognose und Lebensqualität
Die gute Nachricht: Obwohl neurologische Störungen große Belastung für Haustiere und Besitzer verursachen können, lassen sich viele Probleme sehr erfolgreich behandeln.
Erfolgsaussichten:
- Idiopathische Epilepsie: Meist gut kontrollierbar mit Medikamenten
- Meningiome bei Katzen: Katzen mit entferntem Meningiom geht es normalerweise sehr gut
- Vestibularerkrankung: Die meisten Tiere erholen sich vollständig
- Bandscheibenprobleme: Bei früher Behandlung oft vollständige Genesung
Unterstützung zu Hause: Was Sie tun können
Bei Epilepsie:
- Führen Sie ein Anfallstagebuch
- Halten Sie eine ruhige Umgebung aufrecht
- Polstern Sie scharfe Kanten ab
Bei Vestibularerkrankung:
- Schaffen Sie eine sichere, rutschfeste Umgebung
- Unterstützen Sie beim Fressen und Trinken
- Geduld während der Erholung
Bei Bandscheibenproblemen:
- Begrenzen Sie Sprünge und Treppen
- Verwenden Sie Rampen
- Physiotherapie nach tierärztlicher Anweisung
Die Rolle der Veterinärneurologie
Ein board-zertifizierter Veterinärneurologe ist ein Tierarzt, der zusätzliche spezialisierte Ausbildung im Bereich der Veterinärneurologie absolviert hat. Diese Spezialisten besitzen fortgeschrittene Kenntnisse und können komplexere Untersuchungen durchführen.
Zukunftsperspektiven: Forschung für Mensch und Tier
Spannend ist, dass die Parallelen zwischen den Erkrankungen bei Menschen und Hunden darauf hindeuten, dass diese Erkenntnisse bei der Entwicklung effektiver Behandlungen für beide Arten helfen können. Die Veterinärneurologie trägt nicht nur zur Gesundheit unserer Haustiere bei, sondern auch zur menschlichen Medizin.
Fazit: Hoffnung durch moderne Medizin
Neurologische Störungen bei Haustieren sind real und können schwerwiegend sein. Doch dank der Fortschritte in der Veterinärneurologie gibt es heute mehr Behandlungsmöglichkeiten denn je. Früherkennung, moderne Diagnostik und spezialisierte Behandlung können das Leben unserer Vierbeiner erheblich verbessern.
Denken Sie daran: Wenn Sie neurologische Symptome bei Ihrem Haustier bemerken, zögern Sie nicht, professionelle Hilfe zu suchen. Viele neurologische Erkrankungen sind behandelbar, und je früher die Behandlung beginnt, desto besser sind die Aussichten für Ihr geliebtes Tier.
Die Neurologie ist nicht mehr nur Menschen vorbehalten – unsere Haustiere verdienen die gleiche hochqualitative neurologische Versorgung, und heute ist das möglich wie nie zuvor.