Guide zu Myasthenia Gravis
Inhaltsverzeichnis
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Was ist Myasthenia Gravis?
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Ursachen und Mechanismen
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Symptome und Anzeichen
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Diagnose
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Behandlungsoptionen
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Leben mit Myasthenia Gravis
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Psychologische Aspekte
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Besondere Situationen
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Forschung und Zukunftsperspektiven
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Häufig gestellte Fragen (FAQ)
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Hilfsorganisationen und Ressourcen
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Glossar
1. Was ist Myasthenia Gravis?
Myasthenia Gravis (MG) ist eine chronische Autoimmunerkrankung, die die neuromuskuläre Übertragung stört. Der Name leitet sich aus dem Griechischen ab: “mys” bedeutet Muskel und “asthenia” bedeutet Schwäche. “Gravis” ist Lateinisch für schwer. Die Erkrankung wird durch eine gestörte Kommunikation zwischen Nerven und Muskeln verursacht, was zu abnormer Muskelschwäche und schneller Ermüdbarkeit führt.
Epidemiologie
MG kann in jedem Alter auftreten, betrifft aber häufig:
- Frauen unter 40 Jahren
- Männer über 60 Jahren
- Die Prävalenz liegt bei etwa 14-20 pro 100.000 Menschen
- In Deutschland leben etwa 12.000-16.000 Menschen mit dieser Diagnose
2. Ursachen und Mechanismen
Autoimmunmechanismus
Bei MG greift das Immunsystem fälschlicherweise die Acetylcholinrezeptoren (AChR) an den neuromuskulären Verbindungen an. Diese Rezeptoren sind entscheidend für die Übertragung von Nervensignalen an die Muskeln.
Bei den meisten Patienten (etwa 85%) produziert das Immunsystem Antikörper gegen diese Rezeptoren, was zu:
- Blockierung der Rezeptoren
- Zerstörung der Rezeptoren durch das Komplementsystem
- Verringerung der Anzahl funktionsfähiger Rezeptoren führt
Bei etwa 5-8% der Patienten richten sich die Antikörper gegen die Muskel-spezifische Kinase (MuSK), ein Protein, das für die Bildung und Erhaltung der neuromuskulären Verbindung wichtig ist.
Rolle des Thymus
Der Thymus, eine Drüse im oberen Brustbereich, spielt eine wichtige Rolle bei MG:
- Etwa 10-15% der MG-Patienten haben einen Thymustumor (Thymom)
- 60-70% haben eine Thymusvergrößerung (Thymushyperplasie)
- Es wird angenommen, dass abnormale Thymusaktivität zur Produktion der Autoantikörper beiträgt
3. Symptome und Anzeichen
Hauptsymptome
Die charakteristischen Merkmale von MG sind:
- Belastungsabhängige Muskelschwäche: Die Schwäche verstärkt sich bei wiederholter Anstrengung und verbessert sich nach Ruhe.
- Fluktuierende Symptome: Die Schwere der Symptome kann im Tagesverlauf und von Tag zu Tag schwanken, oft mit Verschlechterung am Abend.
- Betroffene Muskelgruppen:
- Augen: Ptosis (hängendes Augenlid) und Diplopie (Doppeltsehen) sind oft die ersten Symptome
- Gesicht und Rachen: Schwierigkeiten beim Kauen, Schlucken, Sprechen
- Nacken und Extremitäten: Schwäche der Arm- und Beinmuskulatur
- Atmung: In schweren Fällen Schwäche der Atemmuskulatur, was zu Atemnot führen kann
Besonderheiten verschiedener MG-Formen
- Okuläre MG: Beschränkt sich auf die Augenmuskulatur
- Generalisierte MG: Betrifft multiple Muskelgruppen
- MuSK-positive MG: Häufig ausgeprägte Schwäche im Gesichts-, Nacken- und Schulterbereich
- Seronegative MG: Keine nachweisbaren Antikörper, aber ähnliche Symptome
4. Diagnose
Die Diagnose von MG stützt sich auf mehrere Untersuchungen:
Klinische Untersuchung
- Beobachtung und Dokumentation der charakteristischen Muskelschwäche
- Spezifische Tests wie der Simpson-Test (für Ptosis) oder Belastungstests
Elektrophysiologische Tests
- Repetitive Nervenstimulation (RNS): Zeigt ein abnormales Dekrement (Amplitudenabnahme) bei wiederholter Stimulation
- Einzelfaser-Elektromyographie (SFEMG): Der sensitivste Test, zeigt eine erhöhte “Jitter” (Variabilität der neuromuskulären Übertragungszeit)
Antikörpertests
- Anti-Acetylcholinrezeptor-Antikörper (AChR): Positiv bei 80-85% der Patienten mit generalisierter MG
- Anti-MuSK-Antikörper: Positiv bei 5-8% der AChR-negativen Patienten
- Anti-LRP4-Antikörper: Bei einigen seronegativen Patienten vorhanden
- Anti-Titin- und Anti-Ryanodinrezeptor-Antikörper: Häufiger bei Thymom-assoziierten MG-Fällen
Bildgebende Verfahren
- CT oder MRT des Brustkorbs zur Untersuchung des Thymus
Pharmakologische Tests
- Tensilon-Test (Edrophonium-Chlorid): Ein kurzwirksamer Cholinesterase-Hemmer, der zu einer vorübergehenden Verbesserung der Symptome führt
- Neostigmin-Test: Eine Alternative zum Tensilon-Test
5. Behandlungsoptionen
Die Behandlung von MG ist multidisziplinär und wird individuell angepasst:
Medikamentöse Therapie
- Cholinesterase-Hemmer
- Pyridostigmin (Mestinon®): Erste Behandlungslinie, verbessert die neuromuskuläre Übertragung
- Wirkdauer: 3-4 Stunden, Dosierung muss individuell angepasst werden
- Nebenwirkungen: Durchfall, erhöhte Speichelproduktion, Magenkrämpfe
- Immunsuppressiva
- Kortikosteroide (z.B. Prednison): Wirksam, aber mit langfristigen Nebenwirkungen verbunden
- Azathioprin (Imurek®): Oft als steroidsparendes Mittel eingesetzt, Wirkungseintritt nach 6-12 Monaten
- Mycophenolat-Mofetil (CellCept®): Alternative zu Azathioprin
- Tacrolimus (Prograf®): Besonders bei Thymom-assoziierten MG-Fällen
- Rituximab: Für therapieresistente Fälle, besonders wirksam bei MuSK-MG
- Methotrexat, Cyclophosphamid: Bei refraktären Fällen
- Neuere Therapien
- Eculizumab (Soliris®): Komplementinhibitor, zugelassen für refraktäre AChR-positive MG
- Efgartigimod: FcRn-Inhibitor, reduziert die Spiegel zirkulierender IgG-Antikörper
Chirurgische Eingriffe
- Thymektomie: Entfernung des Thymus, empfohlen für:
- Patienten mit Thymom
- AChR-positive Patienten unter 60 Jahren mit generalisierter MG
- Kann langfristige Remission fördern und Medikamentenbedarf reduzieren
Akutbehandlungen
- Plasmapherese (Plasmaaustausch): Entfernt zirkulierende Antikörper aus dem Blut
- Intravenöse Immunglobuline (IVIG): Moduliert die Immunantwort
- Beide Verfahren bieten schnelle, aber vorübergehende Verbesserung und werden eingesetzt bei:
- Myasthener Krise
- Schwerer MG-Exazerbation
- Vorbereitung auf Operationen
- Therapieresistenten Fällen
6. Leben mit Myasthenia Gravis
Alltägliche Bewältigung
- Energiemanagement
- Pausen planen und auf Körpersignale achten
- Aktivitäten auf energiereiche Tageszeiten verteilen
- Prioritäten setzen und Aufgaben delegieren
- Medikamentenmanagement
- Regelmäßige Einnahme der Medikamente
- Timing der Medikation an Aktivitäten anpassen
- Nebenwirkungen dokumentieren und mit dem Arzt besprechen
- Ernährung
- Kleine, häufige Mahlzeiten bei Schluckschwierigkeiten
- Weiche, leicht zu kauende Nahrungsmittel
- Ausreichende Proteinzufuhr für Muskelerhalt
- Bei Kortikosteroidtherapie: kaliumreiche Ernährung, Kalzium- und Vitamin-D-Supplementierung
- Bewegung und Physiotherapie
- Angepasste, regelmäßige körperliche Aktivität
- Physiotherapie zur Stärkung der Muskulatur
- Atemübungen zur Verbesserung der Lungenkapazität
Vermeidung von Auslösern
Folgende Faktoren können MG-Symptome verschlimmern:
- Infektionen: Besonders Atemwegsinfektionen
- Stress: Emotionaler und physischer Stress
- Extreme Temperaturen: Besonders Hitze
- Bestimmte Medikamente, die die neuromuskuläre Übertragung beeinträchtigen:
- Einige Antibiotika (Fluorchinolone, Aminoglykoside)
- Betablocker
- Einige Antiepileptika
- Bestimmte Anästhetika
- Magnesiumhaltige Präparate
- Schwangerschaft und Menstruation: Hormonelle Veränderungen können Symptome beeinflussen
Myasthene Krise
Eine myasthene Krise ist ein medizinischer Notfall, der durch schwere Muskelschwäche gekennzeichnet ist, insbesondere der Atem- und Schlundmuskulatur. Auslöser können sein:
- Infektionen
- Stress
- Operative Eingriffe
- Abruptes Absetzen von Immunsuppressiva
- Bestimmte Medikamente
Warnzeichen:
- Zunehmende Atemprobleme
- Schwierigkeiten beim Sprechen oder Schlucken
- Schwere generalisierte Schwäche
Maßnahmen:
- Sofort ärztliche Hilfe suchen
- Intensivmedizinische Überwachung
- Möglicherweise mechanische Beatmung
- Plasmapherese oder IVIG
- Behandlung der Auslöser
7. Psychologische Aspekte
Emotionale Herausforderungen
Das Leben mit MG kann psychisch belastend sein durch:
- Unvorhersehbarkeit der Symptome
- Veränderte Körperwahrnehmung
- Einschränkungen im Alltag und Beruf
- Angst vor schweren Exazerbationen
Bewältigungsstrategien
- Psychologische Unterstützung
- Gesprächstherapie
- Verhaltenstherapie zur Stressbewältigung
- Achtsamkeitsübungen
- Soziale Unterstützung
- Selbsthilfegruppen
- Familiäre Unterstützungssysteme
- Online-Communities für Erfahrungsaustausch
- Kommunikation
- Offene Kommunikation mit Familie, Freunden und Arbeitgebern
- Informationsmaterialien für das Umfeld
8. Besondere Situationen
Schwangerschaft
MG hat keinen Einfluss auf die Fruchtbarkeit, aber erfordert sorgfältige Planung und Überwachung:
- Vor der Schwangerschaft: Stabilisierung der MG, Anpassung der Medikation
- Während der Schwangerschaft:
- MG-Verlauf unvorhersehbar; kann sich verbessern, verschlechtern oder unverändert bleiben
- Regelmäßige neurologische und geburtshilfliche Kontrollen
- Pyridostigmin ist in der Schwangerschaft sicher
- Manche Immunsuppressiva müssen angepasst oder ausgeschlichen werden
- Geburt: Vaginale Entbindung meist möglich, weniger Belastung durch kürzere Wehendauer
- Postpartum: Erhöhtes Risiko für Exazerbationen in den ersten Wochen
- Neonatale MG: Bei 10-20% der Kinder von MG-Müttern, vorübergehende Symptome durch plazentagängige Antikörper
Operationen und Anästhesie
Chirurgische Eingriffe erfordern besondere Vorsicht:
- Präoperative Optimierung der MG-Therapie
- Information des Anästhesisten über MG
- Vorsicht bei bestimmten Anästhetika und Muskelrelaxantien
- Postoperative Überwachung der Atmungsfunktion
- Bei größeren Eingriffen: Erwägung einer präoperativen IVIG oder Plasmapherese
MG im Alter
Ältere Patienten haben besondere Herausforderungen:
- Höhere Wahrscheinlichkeit von Komorbiditäten
- Erhöhtes Risiko für Medikamentenwechselwirkungen
- Angepasste Therapieziele und -strategien
- Besondere Aufmerksamkeit für Sturzprävention
9. Forschung und Zukunftsperspektiven
Die MG-Forschung ist aktiv und vielversprechend:
Aktuelle Forschungsrichtungen
- Gezieltere Immuntherapien
- FcRn-Inhibitoren (Efgartigimod, Rozanolixizumab)
- B-Zell-gerichtete Therapien
- Proteasom-Inhibitoren
- Biomarker-Entwicklung
- Für Therapieansprechen
- Für Krankheitsaktivität
- Für Unterscheidung von MG-Untergruppen
- Genetische Faktoren
- Identifizierung von Risikogenen
- Pharmakogenetik für personalisierte Therapie
- Innovative Therapieansätze
- Antigen-spezifische Toleranzinduktion
- Thymus-gerichtete Therapien
- Stammzelltherapie
Klinische Studien
Aktuelle klinische Studien finden Sie auf:
10. Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Allgemeines zur Erkrankung
F: Ist Myasthenia Gravis heilbar?
A: Nach aktuellem wissenschaftlichen Stand ist Myasthenia Gravis nicht heilbar, aber sehr gut behandelbar. Bei etwa 20% der Patienten kann es nach Thymektomie zu einer spontanen Remission kommen, besonders bei jüngeren Patienten mit kurzer Krankheitsdauer. Eine große randomisierte Studie (MGTX) zeigte, dass die Thymektomie bei AChR-positiven Patienten den Medikamentenbedarf signifikant reduzieren und die klinischen Ergebnisse verbessern kann.
F: Ist Myasthenia Gravis erblich?
A: MG ist keine direkt erbliche Erkrankung. Es gibt jedoch genetische Faktoren, die die Anfälligkeit erhöhen können. Studien zeigen eine Assoziation mit bestimmten HLA-Antigenen (insbesondere HLA-B8, DR3) und Polymorphismen in Genen, die an der Immunregulation beteiligt sind. Das Risiko für Verwandte ersten Grades, ebenfalls an MG zu erkranken, ist leicht erhöht, aber absolut gesehen gering (etwa 3-5%).
F: Verkürzt Myasthenia Gravis die Lebenserwartung?
A: Mit moderner Behandlung haben MG-Patienten heute eine nahezu normale Lebenserwartung. Mehrere Langzeitstudien zeigen, dass die MG-bezogene Mortalität auf unter 5% gesunken ist. Das Sterblichkeitsrisiko ist in den ersten Jahren nach Diagnose und bei älteren Patienten mit Komorbiditäten leicht erhöht. Die Hauptrisikofaktoren sind myasthene Krisen und Nebenwirkungen der Immunsuppression.
Diagnose und Behandlung
F: Kann man an MG leiden, auch wenn die Antikörpertests negativ sind?
A: Ja, etwa 10-15% der Patienten mit generalisierter MG und bis zu 50% der Patienten mit okulärer MG haben negative Tests für AChR- und MuSK-Antikörper (seronegative MG). Bei diesen Patienten können andere Antikörper wie LRP4-Antikörper beteiligt sein, oder die AChR-Antikörper sind mit Standardtests nicht nachweisbar. Die Diagnose stützt sich dann auf klinische Merkmale und elektrophysiologische Tests. Eine Metaanalyse zeigte, dass die Einzelfaser-EMG mit einer Sensitivität von >95% der sensitivste Test für MG ist, unabhängig vom Antikörperstatus.
F: Wie lange dauert es, bis Immunsuppressiva wirken?
A: Die Wirkungsdauer variiert je nach Medikament:
- Kortikosteroide: beginnen nach 2-4 Wochen zu wirken, volle Wirkung nach 3-6 Monaten
- Azathioprin: langsamer Wirkungseintritt, 6-12 Monate bis zur vollen Wirkung
- Mycophenolat-Mofetil: 6-12 Monate
- Rituximab: 1-3 Monate, besonders schnell bei MuSK-MG Diese Zeitangaben basieren auf klinischen Studien und Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.
F: Sind Impfungen für MG-Patienten sicher?
A: Die meisten Impfungen sind für MG-Patienten sicher, aber es gibt einige Überlegungen:
- Totimpfstoffe (wie Influenza, COVID-19, Pneumokokken, Tetanus) sind generell sicher
- Lebendimpfstoffe (wie Masern, Mumps, Röteln, Varizellen) sollten unter Immunsuppression vermieden werden
- Impfreaktionen können vorübergehend MG-Symptome verstärken
- Die Immunantwort auf Impfungen kann unter Immunsuppression reduziert sein
Eine systematische Übersichtsarbeit von 2022 fand keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für MG-Exazerbationen nach Impfungen, insbesondere nach COVID-19-Impfungen. Impfentscheidungen sollten individuell mit dem behandelnden Neurologen besprochen werden.
Alltag mit MG
F: Kann ich mit MG Sport treiben?
A: Ja, angepasste körperliche Aktivität wird sogar empfohlen. Studien zeigen, dass moderates Training die Muskelausdauer verbessern und die Lebensqualität steigern kann. Eine randomisierte kontrollierte Studie von 2018 zeigte, dass strukturiertes Ausdauertraining bei stabilem MG zu einer Verbesserung der Muskelkraft und Belastbarkeit führt. Wichtig sind:
- Individuelle Anpassung der Intensität
- Ausreichende Ruhepausen
- Vermeidung von Überanstrengung
- Regelmäßiges, moderates Training statt intensiver, sporadischer Belastung
- Bei Symptomverschlechterung Rücksprache mit dem Arzt
F: Welche Nahrungsergänzungsmittel können bei MG helfen oder schaden?
A: Die wissenschaftliche Evidenz zu Nahrungsergänzungsmitteln bei MG ist begrenzt:
- Vitamin D: Niedrige Vitamin-D-Spiegel wurden mit erhöhter MG-Aktivität assoziiert; bei nachgewiesenem Mangel kann eine Supplementierung sinnvoll sein
- Magnesium: Kann die neuromuskuläre Übertragung beeinträchtigen und sollte in hohen Dosen vermieden werden
- Kreatin: Kann bei einigen Patienten die Muskelsymptome verschlechtern
- Omega-3-Fettsäuren: Haben in einigen Studien entzündungshemmende Eigenschaften gezeigt, spezifische Evidenz für MG ist jedoch begrenzt
Alle Nahrungsergänzungsmittel sollten vor der Einnahme mit dem behandelnden Arzt besprochen werden.
F: Kann Stress meine MG-Symptome verschlimmern?
A: Ja, sowohl psychischer als auch physischer Stress kann MG-Symptome verstärken. Mehrere Kohortenstudien haben gezeigt, dass Stress bei 30-60% der Patienten als Auslöser für Exazerbationen genannt wird. Die zugrundeliegenden Mechanismen umfassen:
- Veränderungen im autonomen Nervensystem
- Stressbedingte Immunveränderungen
- Erhöhte Kortisolspiegel
- Schlafstörungen
Stressmanagement-Techniken wie Progressive Muskelentspannung, Achtsamkeitstraining und kognitive Verhaltenstherapie haben sich in Studien als wirksam erwiesen, um stressbedingte Symptomverschlechterungen zu reduzieren.
Besondere Patientengruppen
F: Ist eine Schwangerschaft mit MG möglich?
A: Ja, eine Schwangerschaft ist mit MG möglich und in den meisten Fällen erfolgreich. Eine große europäische Registerstudie mit über 200 Schwangerschaften bei MG-Patientinnen zeigte:
- Bei etwa 30% verbessern sich die MG-Symptome während der Schwangerschaft
- Bei 30% bleiben sie unverändert
- Bei 40% verschlechtern sie sich
- Das Risiko für eine myasthene Krise liegt bei 5-8%
- Neonatale MG tritt bei 10-20% der Neugeborenen auf, ist aber meist vorübergehend
Eine sorgfältige multidisziplinäre Betreuung durch Neurologen, Gynäkologen und ggf. Neonatologen ist wichtig.
F: Wie verläuft MG im höheren Alter?
A: MG im höheren Alter (Late-Onset MG) hat einige Besonderheiten:
- Häufiger bei Männern als bei Frauen
- Oft schwererer Verlauf als bei jüngeren Patienten
- Höhere Rate an Thymomen
- Häufigere bulbäre Symptome (Schluck- und Sprechstörungen)
- Erhöhtes Risiko für Medikamentennebenwirkungen und -interaktionen
- Komorbiditäten können die Behandlung komplizieren
Eine geriatrische Beurteilung und angepasste Therapiestrategien sind wichtig. Eine große Kohortenstudie zeigte, dass ältere Patienten länger brauchen, um eine Remission zu erreichen, und häufiger eine Eskalation der Immuntherapie benötigen.
F: Wie unterscheidet sich die MuSK-positive MG von der AChR-positiven MG?
A: MuSK-positive MG (5-8% der MG-Fälle) unterscheidet sich in mehreren Aspekten:
- Deutlich häufiger bei Frauen (Verhältnis Frauen:Männer etwa 9:1)
- Ausgeprägtere Beteiligung der Gesichts-, Nacken-, Schulter- und Atemmuskulatur
- Weniger Ansprechen auf Cholinesterase-Hemmer, teilweise sogar Verschlechterung
- Selten mit Thymuspathologie assoziiert, daher geringerer Nutzen der Thymektomie
- Besseres Ansprechen auf Rituximab (70-80% Ansprechrate in Beobachtungsstudien)
- Häufiger refraktärer Verlauf, aber auch häufiger Remission nach aggressiver Immuntherapie
Eine frühe Diagnose und angepasste Behandlungsstrategie sind besonders wichtig.
11. Hilfsorganisationen und Ressourcen
Deutschland
- Deutsche Myasthenie Gesellschaft e.V.
- Website: www.dmg-online.de
- Telefon: +49 (0)7151 9589880
- E-Mail: info@dmg-online.de
- Angebot: Beratung, Selbsthilfegruppen, Informationsmaterial, jährliche Tagungen
- Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V. (DGM)
- Website: www.dgm.org
- Telefon: +49 (0)7665 9447-0
- E-Mail: info@dgm.org
- Angebot: Beratung, psychosoziale Unterstützung, medizinische Informationen
- Bundesverband der Selbsthilfeverbände Neuromuskulärer Erkrankungen e.V.
- Website: www.bv-nme.de
- Telefon: +49 (0)5373 42199
- E-Mail: info@bv-nme.de
Österreich
- Österreichische Muskelforschung – Myasthenie Gruppe
- Website: www.muskelforschung.at
- Telefon: +43 (0)1 33110 Durchwahl 473
- E-Mail: office@muskelforschung.at
- Österreichische Gesellschaft für Muskelkranke (ÖGM)
- Website: www.muskelkranke.at
- Telefon: +43 (0)1 7696335
- E-Mail: office@muskelkranke.at
Schweiz
- Schweizerische Muskelgesellschaft
- Website: www.muskelgesellschaft.ch
- Telefon: +41 (0)44 245 80 30
- E-Mail: info@muskelgesellschaft.ch
- Myasthenie Gruppe Schweiz
- Website: www.myasthenie.ch
- E-Mail: info@myasthenie.ch
Online-Ressourcen und Apps
- Informationswebseiten
- Myasthenia Gravis Foundation of America (englischsprachig, aber umfangreiche Ressourcen)
- Orphanet (Informationen zu seltenen Erkrankungen, mehrsprachig)
- Apps
- MG Diary: Zur Dokumentation von Symptomen und Medikamenteneinnahme
- MyMG: Symptom-Tracker speziell für Myasthenie-Patienten
- Soziale Medien und Foren
- Facebook-Gruppen für MG-Patienten (nach “Myasthenia Gravis Deutschland/Österreich/Schweiz” suchen)
- Online-Forum der Deutschen Myasthenie Gesellschaft
12. Glossar
Acetylcholin (ACh): Neurotransmitter, der Signale von Nerven zu Muskeln überträgt
Acetylcholinrezeptor (AChR): Protein an der Muskeloberfläche, das Acetylcholin bindet und die Muskelkontraktion initiiert
Autoantikörper: Antikörper, die körpereigene Strukturen angreifen
Cholinesterase-Hemmer: Medikamente, die den Abbau von Acetylcholin verhindern
Diplopie: Doppeltsehen
Dysphagie: Schluckstörung
Dysarthrie: Sprechstörung
Elektromyographie (EMG): Untersuchungsmethode zur Messung der elektrischen Muskelaktivität
Immunsuppressiva: Medikamente, die die Aktivität des Immunsystems unterdrücken
Myasthene Krise: Lebensbedrohliche Verschlimmerung der MG-Symptome mit Ateminsuffizienz
Neuromuskuläre Verbindung: Kontaktstelle zwischen Nerv und Muskel
Plasmapherese: Verfahren zur Entfernung von Antikörpern aus dem Blut
Ptosis: Hängendes Augenlid
Thymus: Lymphatisches Organ im oberen Brustbereich, wichtig für die Entwicklung des Immunsystems
Thymom: Tumor des Thymus