Wenn die Nacht zum Tag wird: Wie nächtliche Lichtbelastung Ihr Herz gefährdet
Stellen Sie sich vor: Es ist 2 Uhr morgens. Während Ihr Körper eigentlich tief schlafen sollte, dringt Licht von der Straßenlaterne durch die Vorhänge, das Display Ihres Smartphones leuchtet auf dem Nachttisch, und die LED-Anzeige des Weckers erhellt das Schlafzimmer. Was nach einem harmlosen modernen Alltag klingt, könnte Ihr Herz-Kreislauf-System erheblich belasten – das zeigt nun eine großangelegte Studie mit fast 89.000 Teilnehmern.
Alarmierende Zahlen aus der größten Studie ihrer Art
Forscher aus Australien und den USA haben in einer bahnbrechenden Untersuchung herausgefunden, dass Menschen, die nachts hellem Licht ausgesetzt sind, ein dramatisch erhöhtes Risiko für schwerwiegende Herzerkrankungen haben. Die im renommierten Fachjournal JAMA Network Open veröffentlichten Ergebnisse basieren auf der Auswertung von 13 Millionen Stunden persönlicher Lichtexpositionsdaten über einen Zeitraum von 9,5 Jahren [1].
Die Kernbotschaft: Verglichen mit Menschen, die in sehr dunklen Umgebungen schlafen (0.-50. Perzentil), zeigten Personen mit den hellsten Nächten (91.-100. Perzentil) folgende Risikosteigerungen:
- Herzinfarkt: 42-47% höheres Risiko
- Herzinsuffizienz (Herzschwäche): 45-56% höheres Risiko
- Koronare Herzkrankheit: 23-32% höheres Risiko
- Vorhofflimmern (Herzrhythmusstörung): 28-32% höheres Risiko
- Schlaganfall: 28-30% höheres Risiko
Warum ist nächtliches Licht so schädlich?
Um diese Zusammenhänge zu verstehen, müssen wir einen Blick auf unseren zirkadianen Rhythmus werfen – die innere biologische Uhr, die unseren 24-Stunden-Schlaf-Wach-Zyklus steuert. Diese Uhr reguliert nicht nur, wann wir müde werden, sondern auch lebenswichtige Körperfunktionen wie Blutdruck, Herzfrequenz, Hormonausschüttung und Blutzuckerspiegel.
Licht ist der wichtigste externe Zeitgeber für diese innere Uhr. Wenn wir nachts Licht ausgesetzt sind, senden wir unserem Körper widersprüchliche Signale. Die Folge: eine zirkadiane Dysregulation – eine Störung des natürlichen Tagesrhythmus, die weitreichende gesundheitliche Konsequenzen hat.
Die Studie zeigt, dass diese Störung zu folgenden kardiovaskulären Problemen führt:
- Erhöhter Blutdruck: Nächtliche Lichtexposition kann den normalerweise nachts absinkenden Blutdruck erhöhen, was langfristig die Blutgefäße schädigt.
- Gestörter Glukosestoffwechsel: Die Regulation des Blutzuckerspiegels gerät aus dem Gleichgewicht, was das Risiko für Typ-2-Diabetes und in der Folge für Gefäßschäden erhöht.
- Erhöhte Gerinnungsneigung: Das Blut wird “klebriger”, was die Gefahr von Blutgerinnseln und damit von Herzinfarkten und Schlaganfällen steigert.
- Chronische Entzündungen: Zirkadiane Störungen fördern entzündliche Prozesse im Körper, die wiederum Arteriosklerose (Gefäßverkalkung) begünstigen.
Besonders betroffen: Frauen und jüngere Menschen
Überraschenderweise fanden die Wissenschaftler heraus, dass die negativen Auswirkungen von Licht in der Nacht nicht alle Menschen gleich treffen. Frauen zeigten bei Herzinsuffizienz und koronarer Herzkrankheit eine stärkere Risikoerhöhung durch nächtliche Lichtbelastung als Männer. Dies könnte mit der höheren Lichtempfindlichkeit des weiblichen zirkadianen Systems zusammenhängen.
Auch jüngere Erwachsene wiesen eine größere Anfälligkeit für Herzinsuffizienz und Vorhofflimmern auf, wenn sie nachts hellem Licht ausgesetzt waren. Ältere Menschen dagegen zeigten eine geringere zirkadiane Lichtempfindlichkeit – ein natürlicher Alterungsprozess des biologischen Rhythmus.
Unabhängig von anderen Risikofaktoren
Besonders bemerkenswert: Die gefundenen Zusammenhänge blieben auch dann statistisch signifikant, wenn die Forscher andere bekannte Herz-Kreislauf-Risikofaktoren berücksichtigten. Dazu gehörten:
- Körperliche Aktivität
- Ernährungsgewohnheiten
- Rauchen und Alkoholkonsum
- Schlafdauer und Schlafqualität
- Sozioökonomischer Status
- Genetische Veranlagung für Herzerkrankungen
Das bedeutet: Nächtliche Lichtexposition ist ein eigenständiger, bisher unterschätzter Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Was bedeutet das für Sie?
Praktische Empfehlungen für dunklere Nächte:
Im Schlafzimmer:
- Verwenden Sie lichtdichte Vorhänge oder Jalousien
- Entfernen Sie leuchtende Displays und elektronische Geräte
- Falls ein Nachtlicht nötig ist: Wählen Sie ein sehr schwaches, warmweißes oder rotes Licht (weniger zirkadian aktiv)
- Decken Sie LED-Anzeigen von Geräten ab
Nachts unterwegs:
- Nutzen Sie bei nächtlichen Toilettengängen nur minimales Licht
- Wenn möglich, verwenden Sie Rotlicht statt weißem Licht
- Vermeiden Sie helles Smartphone-Display nachts – nutzen Sie Nachtmodus oder Filter
Tagsüber:
- Setzen Sie sich tagsüber hellem natürlichem Licht aus – dies stärkt Ihren zirkadianen Rhythmus
- Die Studie zeigte: Helles Tageslicht kann das kardiovaskuläre Risiko senken
Eine neue Präventionsstrategie
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bisher vor allem: gesunde Ernährung, ausreichend Bewegung, Verzicht auf Tabak und Alkohol. Die vorliegenden Forschungsergebnisse legen nahe, dass wir dieser Liste einen weiteren Punkt hinzufügen sollten: Vermeidung von nächtlicher Lichtexposition.
“Zusätzlich zu den aktuellen Präventionsmaßnahmen könnte die Vermeidung von Licht in der Nacht eine sinnvolle Strategie zur Reduzierung des Herz-Kreislauf-Risikos sein”, schlussfolgern die Studienautoren.
Einschränkungen und Ausblick
Wie bei jeder Beobachtungsstudie gibt es auch hier Einschränkungen: Die Lichtexposition wurde nur für eine Woche gemessen, und es handelt sich um Korrelationen, nicht um nachgewiesene Kausalzusammenhänge. Dennoch ist die Studiengröße und die Robustheit der Ergebnisse beeindruckend.
Zukünftige Forschung sollte nun untersuchen, ob gezielte Interventionen zur Reduzierung nächtlicher Lichtbelastung tatsächlich das Herz-Kreislauf-Risiko senken können.
Fazit: Dunkelheit ist gesund
In unserer modernen, rund um die Uhr beleuchteten Welt vergessen wir oft: Unser Körper ist für einen natürlichen Hell-Dunkel-Rhythmus geschaffen. Millionen Jahre Evolution haben uns an dunkle Nächte angepasst – nicht an Straßenlaternen, leuchtende Displays und 24-Stunden-Beleuchtung.
Die gute Nachricht: Anders als bei vielen anderen Risikofaktoren für Herzerkrankungen ist die Lösung hier relativ einfach umzusetzen. Ein dunkleres Schlafzimmer kostet nichts und kann möglicherweise Ihr Leben verlängern.
Schalten Sie das Licht aus – Ihr Herz wird es Ihnen danken.
Referenzen
[1] Windred DP, Burns AC, Rutter MK, Lane JM, Saxena R, Scheer FAJL, Cain SW, Phillips AJK. Light Exposure at Night and Cardiovascular Disease Incidence. JAMA Network Open. 2025;8(10):e2539031. doi:10.1001/jamanetworkopen.2025.39031



