Warum die Zeitumstellung Ihren Körper durcheinanderbringt – und was Sie dagegen tun können
Erfahren Sie von einem Neurologen, warum die Zeitumstellung den Schlafrhythmus stört und wie Sie die Umstellung auf Winterzeit besser bewältigen können.
Die unsichtbare Uhr in Ihrem Gehirn tickt anders
Es ist Sonntagmorgen, 3:00 Uhr nachts. Während Sie schlafen, springen Millionen Uhren in Deutschland zurück – aber die wichtigste Uhr, Ihre innere biologische Uhr, läuft unbeirrt weiter. In den kommenden Tagen werden Sie die Folgen spüren: Sie fühlen sich zur falschen Zeit müde, können abends nicht einschlafen oder wachen morgens wie gerädert auf. Was nach einer banalen Stunde klingt, ist für Ihren Körper eine ernsthafte Herausforderung.
Dr. Louis Ptacek, renommierter Neurologe und Schlafforscher an der University of California in San Francisco, erforscht seit Jahren, warum unser Körper so empfindlich auf die Zeitumstellung reagiert. Seine Erkenntnisse zeigen: Die Anpassung ist kein Zeichen von Schwäche, sondern eine normale biologische Reaktion auf eine künstliche Störung unseres natürlichen Rhythmus [1].
Der Taktgeber in Ihrem Kopf: Was ist ein circadianer Rhythmus?
Stellen Sie sich vor, in Ihrem Gehirn tickt eine hochpräzise Uhr, die jeden Prozess in Ihrem Körper steuert. Diese „Hauptuhr” (der suprachiasmatische Nucleus im Hypothalamus) orchestriert einen 24-Stunden-Rhythmus, der weit mehr reguliert als nur Ihren Schlaf-Wach-Zyklus.
So funktioniert Ihre innere Uhr:
Wenn morgens Licht auf Ihre geschlossenen Augenlider fällt, senden spezialisierte Zellen in Ihrer Netzhaut ein Signal an diese Hauptuhr: „Der Tag beginnt!” Daraufhin setzt Ihr Körper eine Kaskade von Reaktionen in Gang:
- Ihre Körpertemperatur steigt an
- Ihr Blutdruck erhöht sich
- Ihr Verdauungssystem wird aktiviert
- Ihr Immunsystem fährt hoch
- Stresshormone wie Cortisol werden ausgeschüttet
Bei Einbruch der Dunkelheit dreht der Körper diesen Prozess um und bereitet sich auf die Nacht vor. Die Produktion von Melatonin (dem „Schlafhormon”) steigt, die Körpertemperatur sinkt, und alle Systeme fahren in den Regenerationsmodus.
Wenn die Uhren zurückgedreht werden: Eine Stunde mit großen Folgen
„Die Zeitumstellung fühlt sich an wie ein Mini-Jetlag”, erklärt Dr. Ptacek. Und tatsächlich: Wenn wir die Uhren um eine Stunde zurückstellen, beginnt der Tag plötzlich eine Stunde früher, als Ihre innere Uhr es erwartet. Das Problem: Diese biologische Uhr lässt sich nicht einfach per Knopfdruck verstellen.
Die messbaren Auswirkungen auf Körper und Geist
Die Forschung zeigt deutliche Konsequenzen der Zeitumstellung:
Erhöhtes Unfallrisiko: Studien belegen, dass die Zahl der Verkehrsunfälle in den Tagen nach der Zeitumstellung signifikant steigt. Unsere Reaktionszeit verlangsamt sich, die Konzentration leidet, und wir sind anfälliger für Fehler – ob im Straßenverkehr oder am Arbeitsplatz [1].
Gestörte Schlafqualität: Viele Menschen berichten von Ein- und Durchschlafproblemen, die mehrere Tage bis Wochen anhalten können. Sie fühlen sich abends zu früh müde und wachen morgens zu früh auf, selbst wenn die Uhr noch nicht die gewohnte Aufstehzeit zeigt.
Beeinträchtigte Leistungsfähigkeit: Die Desynchronisation zwischen innerer und äußerer Zeit führt dazu, dass wir uns „neben der Spur” fühlen. Aufgaben fallen schwerer, Entscheidungen dauern länger, und die Fehlerquote steigt.
Lerchen und Eulen: Warum manche Menschen besser mit der Umstellung zurechtkommen
Haben Sie sich je gefragt, warum einige Ihrer Kollegen die Zeitumstellung scheinbar mühelos verkraften, während Sie tagelang leiden? Die Antwort liegt in Ihrem „Chronotyp” – Ihrer genetisch determinierten Präferenz für bestimmte Schlaf- und Wachzeiten.
Die Morgenlärche: Menschen dieses Typs wachen früh auf, sind vormittags am leistungsfähigsten und werden abends früh müde. Sie profitieren von der Umstellung im Frühjahr (wenn die Uhren vorgestellt werden), leiden aber stärker bei der Rückstellung im Herbst.
Die Nachteule: Diese Chronotypen kommen morgens schwer in Gang, entfalten ihre volle Leistungsfähigkeit erst nachmittags oder abends und gehen spät ins Bett. Für sie ist die Umstellung auf Winterzeit erträglicher, da sie „länger schlafen” können.
Der Mischtyp: Die meisten Menschen liegen irgendwo dazwischen und zeigen keine extremen Präferenzen.
Interessanterweise ist Ihr Chronotyp nicht willkürlich, sondern hat genetische Grundlagen. Dr. Ptaceks Labor hat Gene identifiziert, die sowohl den circadianen Rhythmus als auch die Stimmungsregulation beeinflussen – ein faszinierendes Forschungsgebiet, das erklärt, warum manche Menschen anfälliger für saisonal abhängige Depressionen sind [1].
Der unterschätzte Zusammenhang: Zeitumstellung und Stimmung
Viele Menschen berichten nach der Zeitumstellung nicht nur von Müdigkeit, sondern auch von gedrückter Stimmung, Reizbarkeit oder sogar depressiven Verstimmungen. Dieser Zusammenhang ist kein Zufall.
„Wir wissen, dass Lichtexposition einen starken Einfluss auf unsere Stimmung und unsere biologische Uhr hat”, erklärt Dr. Ptacek. „Was wir noch nicht vollständig verstehen, ist, wie genau Stimmung und circadianer Rhythmus miteinander verknüpft sind.”
Besonders gefährdet sind:
- Menschen mit Schlafmangel oder chronischen Schlafstörungen
- Personen mit einer Neigung zu Depressionen oder saisonal abhängiger Depression (Winterdepression)
- Schichtarbeiter, deren Rhythmus bereits aus dem Takt geraten ist
- Vielflieger mit häufigem Jetlag
Die Forschung legt nahe, dass unsere Stimmung davon abhängt, wie gut wir mit dem natürlichen Sonnentag synchronisiert sind. Eine Störung dieser Ausrichtung kann bei vulnerablen Personen das Risiko für depressive Episoden erhöhen [1].
Praktische Strategien: So meistern Sie die Zeitumstellung
Die gute Nachricht: Sie sind der Zeitumstellung nicht hilflos ausgeliefert. Dr. Ptacek empfiehlt konkrete Maßnahmen, um die Anpassung zu erleichtern:
1. Bereiten Sie sich schrittweise vor
Beginnen Sie bereits 3-4 Tage vor der Zeitumstellung mit der Anpassung. Verschieben Sie Ihre Schlafenszeit jeden Tag um 15-30 Minuten:
- Bei der Winterzeit (Uhren zurück): Gehen Sie jeden Abend 15-20 Minuten später ins Bett
- Bei der Sommerzeit (Uhren vor): Gehen Sie jeden Abend 15-20 Minuten früher ins Bett
Diese graduelle Anpassung verhindert den abrupten „Schock” für Ihre innere Uhr.
2. Nutzen Sie das Licht strategisch
Licht ist der stärkste „Zeitgeber” für Ihre innere Uhr. Setzen Sie es gezielt ein:
- Morgens: Setzen Sie sich unmittelbar nach dem Aufwachen hellem Licht aus (am besten Tageslicht). Öffnen Sie die Vorhänge, gehen Sie nach draußen oder verwenden Sie eine Tageslichtlampe (mindestens 10.000 Lux)
- Abends: Dimmen Sie das Licht 1-2 Stunden vor dem Schlafengehen. Vermeiden Sie blaues Licht von Bildschirmen oder nutzen Sie Blaulichtfilter
3. Passen Sie Ihre Essenszeiten an
Ihr Verdauungssystem hat ebenfalls eine innere Uhr. Verschieben Sie Ihre Mahlzeiten parallel zu Ihrer Schlafenszeit:
- Frühstücken Sie zur neuen Zeit
- Vermeiden Sie späte, schwere Mahlzeiten
- Essen Sie grundsätzlich während der Tageslichtstunden – Ihr Stoffwechsel ist tagsüber effizienter
4. Sorgen Sie für ausreichend Schlaf
Menschen mit Schlafdefizit leiden stärker unter der Zeitumstellung. Priorisieren Sie in der Woche vor und nach der Umstellung ausreichend Schlaf:
- Streben Sie 7-9 Stunden pro Nacht an
- Halten Sie einen regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus ein
- Vermeiden Sie Koffein nach 14:00 Uhr
5. Seien Sie geduldig mit sich selbst
Die vollständige Anpassung kann bis zu zwei Wochen dauern. Planen Sie in dieser Zeit keine wichtigen Entscheidungen oder risikoreiche Aktivitäten, wenn möglich. Seien Sie besonders aufmerksam im Straßenverkehr.
Der Blick nach vorn: Brauchen wir die Zeitumstellung überhaupt noch?
Die ursprüngliche Begründung für die Zeitumstellung – Energieeinsparung – hat sich wissenschaftlich nicht bestätigt. Viele Experten, darunter auch Schlafforscher, plädieren für eine dauerhafte Abschaffung.
Die Europäische Union hat bereits 2019 beschlossen, die Zeitumstellung abzuschaffen, doch die Umsetzung verzögert sich. Bis es soweit ist, müssen wir zweimal jährlich mit dieser biologischen Herausforderung umgehen.
Was diese Erkenntnisse für Sie bedeuten
Die Reaktion Ihres Körpers auf die Zeitumstellung ist keine Einbildung, sondern eine reale physiologische Antwort auf eine Störung Ihres natürlichen Rhythmus. Diese Erkenntnisse sind besonders relevant für:
- Menschen mit neurologischen Erkrankungen: Patienten mit Parkinson, Multipler Sklerose oder Epilepsie können verstärkte Symptome erleben, wenn ihr Schlaf-Wach-Rhythmus gestört wird
- Personen mit Schlafstörungen: Die Zeitumstellung kann bestehende Probleme verschlimmern
- Betroffene von Depressionen: Die Kombination aus kürzeren Tagen und Zeitumstellung kann besonders belastend sein
Wenn Sie anhaltende Schlafprobleme oder Stimmungsschwankungen erleben, die über normale Anpassungsschwierigkeiten hinausgehen, sollten Sie dies mit Ihrem Arzt besprechen. Möglicherweise liegt eine circadiane Rhythmusstörung vor, die behandelt werden kann.
Fazit: Respektieren Sie Ihre innere Uhr
Die Zeitumstellung ist eine künstliche Intervention in ein Jahrmillionen altes biologisches System. Ihre innere Uhr hat sich über evolutionäre Zeiträume hinweg an den natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus angepasst. Eine abrupte Verschiebung um eine Stunde mag trivial erscheinen, stellt aber für viele Körperprozesse eine Herausforderung dar.
Mit den richtigen Strategien – gradueller Anpassung, gezieltem Lichteinsatz und gesunden Schlafgewohnheiten – können Sie die Auswirkungen minimieren. Und denken Sie daran: Die Schwierigkeiten mit der Zeitumstellung sind kein persönliches Versagen, sondern ein Zeichen dafür, dass Ihr Körper genau so funktioniert, wie er sollte – im Einklang mit der Natur, nicht mit künstlichen Zeitverschiebungen.
Referenzen
[1] University of California, San Francisco (2025). Q&A with neurologist: Why is it so hard to adjust when clocks ‘fall back?’ Medical Xpress. Verfügbar unter: https://medicalxpress.com/news/2025-10-qa-neurologist-hard-adjust-clocks.html(Abgerufen: Oktober 2025)
[2] Ptacek, L.J. et al. Circadian rhythm research at UCSF. Weitere Informationen zu Dr. Ptaceks Forschung über circadiane Rhythmen und deren Einfluss auf neurologische Erkrankungen und Stimmungsregulation.
Hinweis: Dieser Artikel dient der Information und ersetzt nicht die medizinische Beratung. Bei anhaltenden Schlafproblemen oder gesundheitlichen Beschwerden konsultieren Sie bitte Ihren Arzt.



