Forscher vermuten seit langem, dass die Darm-Gehirn-Verbindung eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der Parkinson-Krankheit spielt. Eine internationale Studie liefert nun überzeugende Beweise dafür, dass spezifische Veränderungen der Darmbakterien zur Krankheit beitragen könnten – und deutet auf einen überraschend unkomplizierten potenziellen Behandlungsansatz mit B-Vitaminen hin.
Ein Forscherteam unter der Leitung von Wissenschaftlern der Universität Nagoya in Japan hat die bisher umfassendste Analyse von Darmbakterien bei Parkinson-Patienten in mehreren Ländern durchgeführt. Ihre Ergebnisse, veröffentlicht in der Fachzeitschrift npj Parkinson’s Disease, zeigen konsistente Muster bakterieller Veränderungen, die die Gehirngesundheit durch Vitaminproduktion beeinflussen könnten.
Ein globaler Blick auf Darmbakterien bei Parkinson
Die Forscher analysierten Stuhlproben von 94 Parkinson-Patienten und 73 gesunden Kontrollpersonen in Japan und kombinierten ihre Daten mit fünf zuvor veröffentlichten Datensätzen aus den USA, Deutschland, China und Taiwan. Dieser Meta-Analyse-Ansatz ermöglichte es ihnen, Merkmale der Darmmikrobiota zu identifizieren, die über verschiedene Populationen hinweg konsistent waren.
“Wir wollten mikrobielle Merkmale im Darm bei der Parkinson-Krankheit länderübergreifend identifizieren”, erklärten der leitende Forscher Hiroshi Nishiwaki und seine Kollegen, die fortschrittliche DNA-Sequenzierungstechniken einsetzten, um das komplette genetische Material der Darmbakterien zu analysieren.
Im Gegensatz zu früheren Studien, die nur ausgewählte Bakteriengene untersuchten, verwendete diese Forschung die “Shotgun-Sequenzierung” – einen umfassenden Ansatz, der das gesamte genetische Material in Stuhlproben untersucht. Dies lieferte ein vollständigeres Bild der bakteriellen Gemeinschaften und ihrer Funktionen.
Wichtige Ergebnisse: Veränderte Bakteriengemeinschaften und Vitaminproduktion
Die Studie zeigte mehrere konsistente Veränderungen in den Darmbakterien von Parkinson-Patienten:
Erstens war die bakterielle Diversität bei Parkinson-Patienten in allen sechs Datensätzen konsistent höher. Obwohl eine größere bakterielle Vielfalt oft als vorteilhaft angesehen wird, stellten die Forscher fest, dass dies bei der Parkinson-Krankheit eine Störung des normalen bakteriellen Gleichgewichts widerspiegelte.
Auf Speziesebene waren Akkermansia muciniphila-Bakterien bei Parkinson-Patienten signifikant erhöht, während nützliche Bakterien wie Roseburia intestinalis und Faecalibacterium prausnitzii verringert waren. Diese letzteren Bakterien produzieren typischerweise wichtige Verbindungen, die als kurzkettige Fettsäuren (SCFAs) bezeichnet werden und zur Erhaltung der Darmgesundheit beitragen.
Am bedeutendsten war die Entdeckung der Forscher, dass Gene, die an der Produktion von zwei B-Vitaminen – Riboflavin (B2) und Biotin (B7) – beteiligt sind, in den Darmbakterien von Parkinson-Patienten deutlich verringert waren.
“Die Pathway-Analyse zeigte, dass Gene in der Biosynthese von Riboflavin und Biotin nach Anpassung an Störfaktoren bei Parkinson deutlich verringert waren”, berichteten die Forscher.
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Die Verbindung zwischen B-Vitaminen und Darmgesundheit
Um zu verstehen, warum diese Vitaminmängel wichtig sind, maßen die Forscher die Konzentrationen von SCFAs und Verbindungen namens Polyamine in Stuhlproben. Beide waren bei Parkinson-Patienten signifikant reduziert.
Das Team entdeckte, dass die Gene, die für die Produktion von Riboflavin und Biotin verantwortlich sind, positiv mit den Konzentrationen von SCFAs und Polyaminen korrelierten, was darauf hindeutet, dass diese B-Vitamine eine wichtige Rolle bei der Produktion dieser nützlichen Verbindungen spielen.
“Verminderte SCFAs und Polyamine führen zur Ausdünnung der Schleimschichten, was die intestinale Permeabilität erhöht”, erklärt Nishiwaki. Dies ist bedeutsam, da eine beeinträchtigte Darmbarriere das Eindringen von Toxinen und Krankheitserregern ermöglichen kann, die Entzündungen auslösen.
Von der Darmfunktionsstörung zur Gehirnerkrankung
Die Forscher schlagen einen Weg vor, der diese Darmveränderungen mit der Entwicklung der Parkinson-Krankheit verbindet. Die verringerte Produktion von SCFAs und Polyaminen durch Darmbakterien führt zu einer Ausdünnung der schützenden Schleimschicht im Darm. Diese erhöhte “Durchlässigkeit” der Darmbarriere könnte dann das Darmnervensystem Umweltgiften wie Pestiziden und Herbiziden aussetzen.
Diese Toxine könnten die Bildung abnormaler α-Synuclein-Proteinaggregate – ein Kennzeichen der Parkinson-Krankheit – im Darmnervensystem auslösen. Einigen Theorien zufolge könnten sich diese Proteinanomalien dann über den Vagusnerv bis zum Gehirn ausbreiten und schließlich die Bewegungskontrollzentren beeinträchtigen.
Die Darmveränderungen könnten auch Neuroinflammationen fördern – ein Prozess, der Gehirnzellen schädigt und zum Fortschreiten der Krankheit beiträgt.
Eine einfache Behandlungsmöglichkeit: B-Vitamine
Die vielleicht aufregendste Implikation dieser Forschung ist die potenzielle therapeutische Rolle von B-Vitaminen. Die Forscher weisen darauf hin, dass eine Studie aus dem Jahr 2003 feststellte, dass hohe Dosen von Riboflavin zur Wiederherstellung einiger motorischer Funktionen bei Parkinson-Patienten beitragen, die zudem rotes Fleisch aus ihrer Ernährung eliminierten.
“Die Supplementierung von Riboflavin und/oder Biotin ist wahrscheinlich bei einer Untergruppe von Parkinson-Patienten von Nutzen, bei denen die Darmfehlbesiedlung eine entscheidende Rolle spielt”, schlägt das Forschungsteam vor.
Sie betonen jedoch, dass nicht alle Parkinson-Patienten von demselben Ansatz profitieren könnten. Da in verschiedenen Ländern unterschiedliche Bakterien für die Vitaminproduktion verantwortlich waren, wäre eine personalisierte Bewertung notwendig.
“Wir könnten eine Analyse der Darmmikrobiota bei Patienten durchführen oder Stuhlmetaboliten analysieren”, schlägt Nishiwaki vor. “Mit diesen Ergebnissen könnten wir Personen mit spezifischen Mängeln identifizieren und oral Riboflavin- und Biotin-Präparate für diejenigen mit verringerten Werten verabreichen, und so möglicherweise eine wirksame Behandlung schaffen.”
Während die Forschung weiterhin die komplexe Beziehung zwischen Darmgesundheit und Gehirnfunktion entschlüsselt, liefert diese Studie überzeugende Beweise dafür, dass manchmal einfache Ernährungsinterventionen dazu beitragen könnten, komplexe neurologische Erkrankungen zu behandeln.
Zusammenfassung der Forschungsarbeit
Methodik:
- Meta-Analyse von Shotgun-Sequenzierungsdaten aus sechs Ländern (Japan, USA, Deutschland, China1, China2, Taiwan)
- Analyse von 94 Parkinson-Patienten und 73 Kontrollpersonen aus Japan, plus fünf zuvor berichtete Datensätze
- Quantifizierung von kurzkettigen Fettsäuren und Polyaminen im Stuhl mittels GC-MS und LC-MS/MS
- Statistische Analyse von Bakterienarten, Enzymkommissionsnummern und Stoffwechselwegen
Hauptergebnisse:
- Erhöhte bakterielle Alpha-Diversität bei Parkinson-Patienten
- Erhöhte Akkermansia muciniphila-Bakterien bei Parkinson
- Verringerte Roseburia intestinalis und Faecalibacterium prausnitzii bei Parkinson
- Deutlich verringerte Gene für Riboflavin- und Biotin-Biosynthese bei Parkinson
- Signifikant reduzierte kurzkettige Fettsäuren und Polyamine im Stuhl bei Parkinson
- Positive Korrelation zwischen B-Vitamin-Biosynthesegenen und Konzentrationen von SCFAs/Polyaminen
Einschränkungen der Studie:
- Keine direkte Kausalität zwischen Mikrobiom-Veränderungen und Krankheit nachweisbar
- Unterschiedliche Bakterien waren in verschiedenen Ländern für die Vitaminproduktion verantwortlich
- Fokus auf Korrelation statt Interventionseffekten
- Begrenzte Hinweise darauf, ob eine Supplementierung den Krankheitsprozess umkehren würde
Diskussion & Erkenntnisse:
- Dysbiose der Darmmikrobiota könnte zur Pathogenese von Parkinson beitragen
- B-Vitaminmangel könnte zu verringerten Schutzverbindungen im Darm führen
- Ausdünnung der Darmschleimschicht könnte die Exposition gegenüber Umweltgiften erhöhen
- Supplementierung mit Riboflavin und/oder Biotin könnte potenziell einer Untergruppe von Patienten nutzen
- Personalisierte Bewertung wäre notwendig, um geeignete Kandidaten für eine B-Vitamin-Therapie zu identifizieren
- Umweltfaktoren, die die Darmgesundheit beeinflussen, könnten zur Entwicklung der Parkinson-Krankheit beitragen
Quelle
Nishiwaki, H., Ueyama, J., Ito, M. et al. Meta-analysis of shotgun sequencing of gut microbiota in Parkinson’s disease. npj Parkinsons Dis. 10, 106 (2024). https://doi.org/10.1038/s41531-024-00724-z