Eine überraschende Erkenntnis der modernen Neurowissenschaft ist, dass Videospiele weit mehr sein können als nur Unterhaltung. Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass regelmäßiges Spielen von Videospielen tatsächlich positive Auswirkungen auf unser Gehirn haben kann, wobei zahlreiche kognitive Fähigkeiten verbessert werden. Diese Erkenntnisse stellen den traditionell schlechten Ruf von Videospielen in Frage und eröffnen neue Perspektiven für die Nutzung dieser beliebten Freizeitaktivität zur Förderung der Gehirngesundheit. Die folgende umfassende Darstellung bietet einen Einblick in die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesem Thema und gibt praktische Hinweise, wie Sie das Potenzial von Videospielen für Ihre kognitive Gesundheit nutzen können.
Eine bahnbrechende Studie des Manchester Science Museum und der Western University in Kanada untersuchte die Auswirkungen von Videospielen auf die Gehirnfunktion. Die Ergebnisse, die von mehr als 1.000 Teilnehmern aus der ganzen Welt gewonnen wurden, zeigten, dass Spieler in Tests zu Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Denkvermögen deutlich besser abschnitten als Nicht-Spieler.9 Besonders bemerkenswert ist die Erkenntnis, dass Menschen, die regelmäßig Videospiele spielen (fünf oder mehr Stunden pro Woche für einen einzelnen Spieltyp), kognitiv im Durchschnitt wie Menschen funktionierten, die 13,7 Jahre jünger waren.13
Der renommierte Neurowissenschaftler Professor Adrian Owen, der die Studie leitete, äußerte seine Überraschung über diese Ergebnisse. Er stellte fest, dass während computergestützte “Gehirntraining”-Programme nachweislich die kognitive Funktion nicht verbesserten, Videospiele dies tatsächlich taten.9 Er führt diesen Unterschied auf die Natur moderner Videospiele zurück, die typischerweise höchst ansprechend und strategisch sind und durch intensive Wiederholung und Übung die visuelle Aufmerksamkeit, die Verarbeitungsgeschwindigkeit und die Problemlösungsfähigkeiten verbessern können.9
Eine systematische Überprüfung von 116 wissenschaftlichen Studien zu Videospielen bestätigte diese Erkenntnisse und zeigte, dass Spielen verschiedene Gehirnfunktionen beeinflusst, darunter Verhalten und kognitive Leistung.7Interessanterweise stellten die Forscher fest, dass Spielen tatsächlich mehrere Arten von Aufmerksamkeit verbessern kann, darunter selektive Aufmerksamkeit, geteilte Aufmerksamkeit und anhaltende Aufmerksamkeit, wobei die mit Aufmerksamkeit verbundenen Gehirnregionen bei Spielern effizienter arbeiteten.7
Eine der am häufigsten berichteten Verbesserungen durch Videospiele betrifft die visuell-räumlichen Fähigkeiten – die Fähigkeit einer Person, visuelle und räumliche Beziehungen zu verstehen. Forscher haben herausgefunden, dass Spielen Teile des Gehirns vergrößern kann, die mit visuell-räumlichen Fähigkeiten verbunden sind.7 Darüber hinaus zeigten Langzeitspieler eine Vergrößerung ihres Hippocampus, der Gehirnregion, die für Lernen und Gedächtnis entscheidend ist.7
Diese Verbesserungen sind nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass viele Videospiele von den Spielern verlangen, komplexe visuelle Umgebungen zu navigieren, auf mehrere visuelle Reize gleichzeitig zu achten und schnelle räumliche Entscheidungen zu treffen. Die Meta-Analyse von Bediou et al. (2018) ergab, dass Action-Videospiele die räumliche Kognition deutlich verbessern konnten, mit einer Effektstärke von g = 0,45.8
Studien aus den USA haben gezeigt, dass Kinder, die mehr als drei Stunden täglich Videospiele spielten, bessere Ergebnisse bei Kognitionstests erzielten, insbesondere in Bezug auf das Arbeitsgedächtnis und die Impulskontrolle, verglichen mit Kindern, die keine Videospiele spielten.1012 Diese Verbesserungen waren mit einer erhöhten Gehirnaktivität in Regionen verbunden, die mit Aufmerksamkeit und Gedächtnis assoziiert sind.1011
Das Arbeitsgedächtnis, unser System zur temporären Speicherung und Verarbeitung von Informationen, wird beim Videospielen ständig beansprucht. Nehmen wir zum Beispiel ein Spiel wie “Zelda: Breath of the Wild”: Spieler müssen sich Karteninformationen, Aufgabenziele und Kampfmechaniken merken, während sie gleichzeitig komplexe Probleme lösen.4 Durch regelmäßiges Spielen solcher Spiele passt sich unser Gehirn an und wird stärker – ähnlich wie ein Muskel, der durch Training wächst.4
Videospiele verbessern nachweislich die Fähigkeit, schnell von einer Aufgabe zur nächsten zu wechseln und sich an Änderungen im Kontext oder in den Regeln anzupassen, was auch als kognitive Flexibilität bezeichnet wird.413 In einer Studie, die in der Fachzeitschrift PLoS ONE veröffentlicht wurde, zeigte sich, dass Videospiele signifikant die mentale Flexibilität, Planung, visuelles Arbeitsgedächtnis, visuell-räumliche Verarbeitung, fluide Intelligenz und verbales Arbeitsgedächtnis vorhersagten, während Brettspiele mit keiner dieser kognitiven Leistungen in Verbindung gebracht wurden.13
Diese kognitiven Fähigkeiten sind im Alltag von unschätzbarem Wert, da sie uns helfen, mit wechselnden Prioritäten umzugehen, Multitasking zu bewältigen und uns schnell an neue Situationen anzupassen.
Nicht alle Videospiele sind gleich, wenn es um ihre Auswirkungen auf das Gehirn geht. Verschiedene Genres können unterschiedliche kognitive Fähigkeiten fördern:
Action-Spiele, insbesondere First-Person-Shooter und schnelle Abenteuerspiele, haben sich als besonders wirksam bei der Verbesserung der visuellen Aufmerksamkeit und der räumlichen Kognition erwiesen.8 In der Meta-Analyse von Bediou et al. (2018) wurde festgestellt, dass das Training mit Action-Videospielen die Top-down-Aufmerksamkeit (g = 0,31) und die räumliche Kognition (g = 0,45) im Vergleich zu Kontroll-Videospielen verbesserte.8
Diese Verbesserungen lassen sich durch die Anforderungen solcher Spiele erklären: Sie erfordern typischerweise eine kontinuierliche Überwachung des gesamten Bildschirms, eine schnelle Verarbeitung visueller Informationen und präzise Hand-Auge-Koordination.
Puzzle- und Strategiespiele fördern das logische Denken, die Problemlösung und die strategische Planung. Eine systematische Überprüfung von Interventionsstudien ergab, dass Genres wie 3D-Abenteuer, Puzzle, Rhythmus-Tanz und Strategiespiele alle positive Auswirkungen auf verschiedene Aspekte der Gehirnfunktion haben können.6
Speziell entwickelte pädagogische Action-Videospiele wie “Skies of Manawak” können gezielt kognitive Funktionen ansprechen, die für bestimmte Fähigkeiten wie das Lesen erforderlich sind.15 Diese Spiele trainieren grundlegende Fähigkeiten wie Konzentration, Erinnerungsvermögen und Wahrnehmung auf spielerische Weise, ohne als zusätzliche schulische Aktivität wahrgenommen zu werden.15
Die Forschung zeigt unterschiedliche Ergebnisse bezüglich der optimalen Spieldauer. In einigen Studien wurden positive Effekte bei Personen beobachtet, die mindestens fünf Stunden pro Woche spielten13, während andere Studien Kinder untersuchten, die drei oder mehr Stunden täglich spielten.1012
Es ist wichtig zu beachten, dass übermäßiges Spielen auch negative Auswirkungen haben kann. Eine aktualisierte Analyse der Studie mit Kindern, die mehr als drei Stunden täglich spielten, fand zwar immer noch kognitive Vorteile, aber auch signifikant höhere Werte bei Aufmerksamkeitsproblemen, Depressionssymptomen und ADHS-Scores im Vergleich zu Kindern, die nie Videospiele gespielt hatten.12
Für die meisten Erwachsenen scheint eine moderate Spielzeit von etwa 5-10 Stunden pro Woche ausreichend zu sein, um kognitive Vorteile zu erzielen, ohne negative Auswirkungen zu riskieren. Die Interventionsstudien, die in systematischen Reviews analysiert wurden, verwendeten Trainingszeiten von insgesamt 16-90 Stunden, was darauf hindeutet, dass konsistentes Spielen über einen längeren Zeitraum notwendig sein könnte, um messbare Verbesserungen zu erzielen.6
Ein interessantes Ergebnis mehrerer Studien ist die unterschiedliche Wirkung von Videospielen und körperlicher Aktivität auf das Gehirn. Während das Spielen von Videospielen positive Auswirkungen auf die Kognition hatte, schien es die psychische Gesundheit nicht zu beeinflussen.123 Im Gegensatz dazu wurde festgestellt, dass körperliche Aktivität von mehr als 150 Minuten pro Woche, gemäß den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO), das psychische Wohlbefinden verbesserte, aber keine Auswirkungen auf die Kognition hatte.13
Personen, die die WHO-Empfehlungen von 150 Minuten körperlicher Aktivität pro Woche erfüllten oder übertrafen, hatten eine 12% höhere Wahrscheinlichkeit, keine Depressionssymptome zu haben, und eine 9% höhere Wahrscheinlichkeit, keine Angstsymptome zu haben.1 Dies deutet darauf hin, dass ein ausgewogener Lebensstil, der sowohl Videospiele als auch regelmäßige körperliche Aktivität umfasst, optimal für die ganzheitliche Gehirngesundheit sein könnte.
Basierend auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen hier einige praktische Tipps, wie Sie Videospiele nutzen können, um Ihre kognitive Gesundheit zu fördern:
Verschiedene Spielgenres trainieren unterschiedliche kognitive Fähigkeiten. Action-Spiele sind besonders gut für die visuelle Aufmerksamkeit und räumliche Kognition, während Strategie- und Puzzle-Spiele das logische Denken und die Problemlösung fördern. Wählen Sie Spiele, die Sie herausfordern und engagieren, aber auch Spaß machen.
Streben Sie eine moderate Spielzeit von etwa 5-10 Stunden pro Woche an. Dies scheint ausreichend zu sein, um kognitive Vorteile zu erzielen, ohne negative Auswirkungen zu riskieren. Achten Sie darauf, regelmäßige Pausen einzulegen und vermeiden Sie übermäßiges Spielen, besonders kurz vor dem Schlafengehen.
Um sowohl die kognitiven Vorteile des Spielens als auch die psychischen Gesundheitsvorteile körperlicher Aktivität zu nutzen, integrieren Sie beides in Ihren Lebensstil. Streben Sie mindestens 150 Minuten moderate körperliche Aktivität pro Woche an, wie von der WHO empfohlen, zusätzlich zu Ihren Spielsitzungen.
Betrachten Sie Videospiele als eine Ergänzung zu anderen kognitiven Aktivitäten wie Lesen, Problemlösen und soziale Interaktion. Ein abwechslungsreicher Ansatz zur kognitiven Stimulation ist wahrscheinlich am vorteilhaftesten für die langfristige Gehirngesundheit.
Trotz der vielversprechenden Forschungsergebnisse gibt es einige wichtige Einschränkungen und Überlegungen zu beachten:
Ein wichtiger Punkt, den Forscher betonen, ist die Frage der Kausalität. Obwohl Studien eine Korrelation zwischen Videospielen und verbesserten kognitiven Fähigkeiten zeigen, ist nicht immer klar, ob Videospiele die Kognition verbessern oder ob Menschen mit besseren kognitiven Fähigkeiten eher zum Spielen neigen.11 Es könnte sein, dass kognitiv begabte Kinder mehr Spaß am Spielen haben, anstatt dass das Spielen ihre kognitiven Fähigkeiten verbessert.10
Eine neuere Korrektur einer vielbeachteten Studie stellte fest, dass nach der Bereinigung mit soziodemographischen Daten die kognitive Leistungsfähigkeit der Videospieler zwar immer noch höher war, jedoch sehr geringfügig.14 Dies unterstreicht die Bedeutung einer vorsichtigen Interpretation von Forschungsergebnissen und die Notwendigkeit weiterer Studien.
Obwohl viele Studien positive kognitive Effekte zeigen, haben einige auch potenzielle negative Auswirkungen gefunden, insbesondere bei übermäßigem Spielen. Eine aktualisierte Analyse der NIH-Studie fand beispielsweise, dass Kinder, die mehr als drei Stunden täglich spielten, signifikant höhere Werte bei Aufmerksamkeitsproblemen, Depressionssymptomen und ADHS-Scores aufwiesen.12
Die Forschung zeigt deutlich, dass Videospiele positive Auswirkungen auf verschiedene kognitive Fähigkeiten haben können, von der visuellen Aufmerksamkeit und dem räumlichen Denken bis hin zum Arbeitsgedächtnis und der kognitiven Flexibilität. Diese Erkenntnisse stellen den traditionell schlechten Ruf von Videospielen in Frage und deuten darauf hin, dass sie als Werkzeug zur Förderung der kognitiven Gesundheit genutzt werden können.
Gleichzeitig ergänzt körperliche Aktivität diese Vorteile, indem sie das psychische Wohlbefinden verbessert – ein Aspekt, den Videospiele allein nicht beeinflussen. Dies deutet auf die Vorteile eines ausgewogenen Lebensstils hin, der sowohl geistige als auch körperliche Aktivitäten umfasst.
Wie Professor Owen bemerkte, könnten diese Forschungsergebnisse Menschen helfen, Aktivitäten zu wählen, die ihre Gehirnfunktion mit zunehmendem Alter unterstützen.9 In einer alternden Gesellschaft, in der die Erhaltung der kognitiven Gesundheit immer wichtiger wird, könnten Videospiele – in Maßen gespielt und als Teil eines ausgewogenen Lebensstils – eine überraschende, aber wirksame Strategie zur Förderung der Gehirngesundheit sein.
Letztendlich legt die Forschung nahe, dass wir unsere Einstellung zu Videospielen überdenken sollten. Anstatt sie ausschließlich als Unterhaltung oder Zeitverschwendung zu betrachten, könnten wir sie als potenzielle kognitive Trainingstools anerkennen – eine Möglichkeit, unser Gehirn auf unterhaltsame und engagierte Weise fit zu halten.